Peter Matussek

Medienästhetik des Klangs

1. Physiologie des Hörens

1.1 Funktionen des Ohrs

 

Gedankenexperiment:

Am Seeufer sind über zwei kleine Kanäle Taschentücher gespannt, so dass Wellen vom See die Taschentücher in Bewegung versetzen. Angenommen, Sie dürften nur die Taschentücher anschauen und müssten dabei folgende Fragen beantworten:

• Wie viele Boote befinden sich auf dem See und wo?
• Welches hat den stärksten Motor?
• Welches befindet sich am nächsten?
• Weht Wind?
• Ist ein größeres Objekt gerade in den See gefallen?

Quelle: Goldstein (1996): 351 f.

1.1 Was das Ohr leistet

Was "Hören" heißt, wird je nach wissenschaftlichem und historischem Standort unterschiedlich definiert. Beginnen wir mit dem, was wir "objektiv" feststellen können, also mit dem Zuständigkeitsbereich der Naturwissenschaften.

Der physikalischen Teildisziplin der Akustik verdanken wir die Erkenntnis, dass alles, was wir hören, seine Ursache in "Schallwellen" hat: Schwingungen unseres Umgebungsmediums, meistens der Luft,
• in einer bestimmten Frequenz (von lat. frequentia = Häufigkeit): maßgeblich für die Tonhöhe,
• mit einer bestimmten Amplitude (von lat. amplitudo = Weite): maßgeblich für die Lautstärke,
• mit einer bestimmten Wellenform: maßgeblich für die Klangfarbe.

Die drei Videos zeigen einige Schallwellenaufzeichnungen, die für die jeweiligen Schallquellen charakteristisch sind:
• Ein Ton mit einer Frequenz von 432 Hz (=Abk. f. "Hertz" = Schwingungen pro Sekunde), mit wachsender Amplitude (also lauter werdend) und regelmäßiger Wellenform, wie sie in der Natur nicht vorkommt, weil alle Körper eine Eigenschwingung haben, die in Addition zur Schallwelle unregelmäßige Wellenformen ergeben. Nur technisch können solche regelmäßigen Schallwellen erzeugt werden, die "Sinustöne" genannt werden, weil sie mathematisch auf Sinus- und Kosinusfunktionen beruhen.
• Die Schallwelle einer Explosion (starker Auschlag zu Beginn, dann allmählich abnehmend).
• Schallwellen gesprochener Sprache mit ihren charakteristischen Unregelmäßigkeiten.

Das Gedankenexperiment unten versucht anschaulich zu machen, welche unglaublich komplexe Aufgabe unsere auditive Wahrnehmung bewältigt, indem sie aus Schallwellen alle möglichen Informationen entnimmt. Nicht nur  kognitive, nach denen hier gefragt wird, sondern auch  emotive ("Wie ist die Stimmung der Leute, die sich in dem Boot rechts unterhalten?"). Wie kommt diese unglaubliche Leistung unseres Gehörs zustande? 

1.1 Funktionen des Ohrs1.1 Funktionen des Ohrs
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