Peter Matussek

Medienästhetik des Klangs

8. Die musikalische Orpheus-Rezeption

8.4 Protagonist der "Neuen Musik" (Strawinski 1946)

Absteigende Tonleiter: e-dorisch (vgl. 6.2.5)
(= "phrygisch" nach mittelalterlicher Systematik)

Aufsteigende Tonleiter: d-phrygisch
(= "dorisch" nach mittelalterlicher Systematik)

Einschätzungen nach Hevner-Liste u. Juslin-Matrix
(2016: li. Ausdruck, re. Hörempfinden; 2017 Hörempfinden):

8.4 Protagonist der "Neuen Musik" (Strawinski)

Igor Strawinski war neben Arnold Schönberg der bedeutendste Wegbereiter der sog. "Neuen Musik", d.h. einer Musik, die sich von den konventionellen Melodie- und Harmonie-Erwartungen löste. Während Schönberg mit dem von ihm entwickelten Konzept der 12-Tonmusik einen konsequent atonalen Duktus verfolgte, zielen die Neuerungen Strawinskis auf die Emanzipation des Klangbildes durch rhythmische und polytonale (d.h. aus mehreren Tonarten zusammengesetzte) Montagen, in die er auch Elemente der Unterhaltungsmusik einbezog.

Nach einer betont rationalen neoklassizistischen Phase wendete sich Strawinski mit seinem Spätwerk Orpheus (1947) einer mehr gefühlsbetonteren musikalischen Ausdrucksweise zu, wobei er sich am Vorbild Monteverdis orientiert.

Das Narrativ des Balletts entnimmt er Ovids Version des Orpheus-Mythos, wobei er allerdings Veränderungen vornahm. U.a. ist Hades bei ihm nicht ein Mann, sondern ein Ort, und sein Orpheus wird von einem Engel in die Unterwelt begleitet.

Das dramatische Geschehen beginnt mit Orpheus' Totenklage und endet mit einer "Apotheose" (von griech. apotheoun = vergöttern), bei der seine Leier himmelwärts entschwindet. Für diese beiden Gefühlsbewegungen verwendet Strawinski die antiken Modi: anfangs e-dorisch in absteigender Tonfolge, wie es in der Antike üblich war, am Ende d-phrygisch in aufsteigender Tonfolge.

Nach mittelalterlicher Terminologie wird der dorische Modus der Antike "phrygisch" genannt und umgekehrt, was schlicht auf einer Verwechslung bei der Systematisierung der Tonarten beruht.

Strawinskis Rückgriff auf die antiken Modi anstelle der klassischen Dur- und Moll-Tonalität ist bahnbrechend für gleichartige Tendenzen in der Popmusik.

So findet sich der dorische (nach ma. Terminologie "phrygische") Modus, der auch ein Charakteristikum arabisch-kurdischer und iberischer (Flamenco und Fado) Folklore ist, im Psychedelic Rock (Pink Floyd [1968]:"Set the Controls for the Heart of the Sun"; Jefferson Airplane [1967]: "White Rabbit") und in der Metal-Musik, insbesondere der Gruppe Metallica (u.a. "Ride the Lightning" [1984]).

Der phrygische (nach ma. Terminologie "dorische") Modus ist wegen seiner Nähe zur Blues-Harmonik stilprägend für den Modern Jazz (Miles Davis [1959]: "So What") und die Rockmusik, insbesondere der 70er Jahre (Santana [1970]: "Samba Pa Ti; Supertramp [1975]: "School").

8.4 Protagonist der "Neuen Musik" (Strawinski 1946)8.4 Protagonist der "Neuen Musik" (Strawinski 1946)
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