0.1 Der Mythos von Pygmalion (Ovid: Metamorphosen, Buch X, Vers 247–288)

Weißes Elfenbein schnitzte indes er mit glücklicher Kunst und
gab ihm eine Gestalt, wie sie nie ein geborenes Weib kann
haben, und ward von Liebe zum eigenen Werke ergriffen.
Wie einer wirklichen Jungfrau ihr Antlitz, du glaubtest, sie lebe,
wolle sich regen, wenn die Scham es nicht ihr verböte. [...]
Sie schien zu erwarmen.
Wieder nähert den Mund er, betastet die Brust mit der Hand,
da wird das betastete Elfenbein weich, verliert seine Starrheit,
gibt seinen Fingern nach und weicht, wie hymmettisches
Wachs im Strahl der Sonne erweicht, von den Fingen geknetet,
zu vielen Formen sich fügt und, gerade genutzt, seinen Nutzen
bekundet. Während der Liebende staunt, sich zweifelnd freut,
sich zu täuschen fürchtet, prüft mit der Hand sein Verlangen er
wieder und wieder.
Abb.: Les Metamorphoses dOvide; Paris 1619, S. 283.
Quelle: Dörrie (1974), Abb. 4.