Peter Matussek

Historische Anthropologie der Animationstechnik

4. Theorien der Bewegungsanalyse

4.2 Sprachspiele (Ludwig Wittgenstein)

Auszüge aus Philosophische Untersuchungen (1947–49):

„Was bezeichnen nun die Wörter dieser Sprache? – Was sie bezeichnen, wie soll ich das zeigen, es sei denn in der Art ihres Gebrauchs?" (§ 10)

„Es gibt unzählige [...] verschiedene Arten der Verwendung alles dessen, was wir 'Zeichen', 'Worte', 'Sätze', nennen. Und diese Mannigfaltigkeit ist nichts Festes, ein für allemal Gegebenes [...]. Das Wort 'Sprachspiel' soll hier hervorheben, dass das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform.“ (§ 23)

„Denn denk dir, du solltest zu einem verschwommenen Bild ein ihm 'entsprechendes' scharfes entwerfen. [...] Wenn aber im Original die Farben ohne die Spur einer Grenze ineinanderfließen, – wird es dann nicht eine hoffnungslose Aufgabe werden [...] ? Wirst du dann nicht sagen müssen: 'Hier könnte ich ebensogut einen Kreis wie ein Rechteck oder eine Herzform zeichnen [...]. Es stimmt alles; und nichts.' – Und in dieser Lage befindet sich z.B. der, der in der Aesthetik oder Ethik nach Definitionen sucht, die unseren Begriffen entsprechen.
Frage dich in dieser Schwierigkeit immer: Wie haben wir denn die Bedeutung dieses Wortes ('gut' z.B.) gelernt? An was für Beispielen; in welchen Sprachspielen?" (§ 77)

4.2 Sprachspiele (Ludwig Wittgenstein)

Eine Geste war es, die das erkenntnistheoretische Weltbild des jungen Ludwig Wittgenstein (1889–1951) derart aus der Fassung brachte, dass er seiner frühen Philosophie – niedergelegt im Tractatus Logico-Philosophicus (1921) – eine spätere folgen ließ, die jener diametral entgegengesetzt war. Folgende Anekdote über ein Gespräch Wittgensteins mit seinem italienischen Kollegen Sraffa ist dazu überliefert:

"Eines Tages (ich glaube, sie reisten im gleichen Zug) bestand Witgenstein darauf, daß ein Satz und das, was er darstellt, dieselbe 'logische Form', dieselbe 'logische Mannigfaltigkeit' besitzen müssen. Sraffa machte eine Geste, wie sie den Neapolitanern geläufig ist, wenn sie so etwas wie Abscheu oder Verachtung ausdrücken wollen: er wischte die Unterseite seines Kinns mit der nach außen gekehrten Hand. Und er fragte: 'Was ist die logische Form davon?' Sraffas Beispiel rief in Wittgenstein das Gefühl hervor, es sei absurd darauf zu beharren, daß ein Satz und das, was er darstellt, dieselbe 'Form' haben müssen. Dies zerstörte in ihm die Vorherrschaft des Gedankens, daß ein Satz buchstäblich ein 'Bild' der Wirklichkeit sein müsse, die er darstellt." (Malcolm 1958, S. 88 f.)

Während er zuvor glaubte, getreue Abbilder der Wirklichkeit aus deren logischer Struktur entnehmen zu können, betont er nun in seinem zweiten Hauptwerk, Philosophische Untersuchungen (1947–49), den "Fluss des Lebens", in dem die Wörter erst ihre wahre Bedeutung fänden.

Der zentrale Begriff, mit dem er diese "fließende Bedeutung" der Wörter konzeptualisiert, ist der des "Sprachspiels". Denn wie bei den Spielen entscheidet der Handlungskontext einer Äußerung darüber, welche Bedeutung sie hat.

4.2 Sprachspiele (Ludwig Wittgenstein)4.2 Sprachspiele (Ludwig Wittgenstein)
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