Peter Matussek

Historische Anthropologie der Animationstechnik

4. Theorien der Bewegungsanalyse

4.3 Ästhetik des Performativen (Erika Fischer-Lichte)

The Lips of Thomas (Performance von Marina Abramovic, 1975)

I slowly eat 1 kilo of honey with a silver spoon.
I slowly drink 1 liter of red wine out of a crystal glass.
I break the glass with my right hand.
I cut a five pointed star on my stomach with a razor blade.
I violently whip myself until I no longer feel any pain.
I lay down on a cross made of ice blocks.
The heat of a suspended space heater pointed at my stomach
Causes the cut star to bleed.
The rest of my body begins to freeze
I remain on the ice cross for 30 minutes until the audience interrupts the piece by removing the ice blocks from underneath.

4.3 Ästhetik des Performativen (Erika Fischer-Lichte)

Wittgensteins Konzept der Sprachspiele wurde von Austin (1962) und Searle (1969) zur "Sprechakttheorie" systematisiert. Diese wendete ihr besonderes Interesse einer bestimmten Klasse von sprachlichen Äußerungen zu, den sogenannten "Performativa". Ein solcher performativer Sprechakt ist z.B. der Satz "Ich verspreche Dir, dass ich X tun werde!" Das Aussprechen des Satzes und die Handlung sind hier ein und dasselbe. Der Satz repräsentiert also nicht bloß ein Versprechen, sondern er ist das Versprechen. Er vollzieht es sozusagen "live".

Die Erkenntnis, dass Sprache nicht nur Repräsentantin von Bedeutungen ist, sondern zugleich – und manchmal ausschleßlich – eine Praxis, ist natürlich im Verlauf der Geschichte schön öfter aufgekommen. Und sie ist keineswegs nur eine Domäne der Sprachwissenschaft. Sie wird immer dann betont, wenn gegen erstarrte Strukturen in einer Kultur, in Wissenschaft, Gesellschaft und Kunst angegangen wird. Die Kulturhistoriker sprechen in solchen Fällen von  "performative turns"

Für unser Vorlesungsthema ist das Konzept der Performativität von besonderer Bedeutung, da wir sowohl für die Beschreibung wie auch für die kulturhistorische Einschätzung von Animationsphänomenen angemessener ist als das Konzept der Repräsentation. Das Wesentliche z.B. einer künstlerischen "Performance" können wir nicht dadurch wiedergeben, dass wir "Was"-Fragen beantworten ("Was ist die Aussage?" "Was bedeutet diese Handlung?"); sondern es sind "Wie"-Fragen, auf die wir uns einzulassen haben: "Wie wird die Handlung ausgeführt?" und "Wie ist das Erlebnis des Zuschauers?"

Die Berliner Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte hat insbesondere auf dem Feld der Performativen Ästhetik viel zur Klärung solcher Fragen beigetragen. Dabei rücken Begriffe wie "Aufführung", "Inszenierung", "Ereignis", "Liveness", "Präsenz", "Emergenz", "Transformation" etc. in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

 

4.3 Ästhetik des Performativen (Erika fischer-Lichte)4.3 Ästhetik des Performativen (Erika fischer-Lichte)
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