Peter Matussek

Medienästhetik des Klangs

8. Die musikalische Orpheus-Rezeption

8.1 Gründungsfigur der Oper (Monteverdi 1607)

Orfeo versucht mit seiner Arie "Possente spirto" Charon, den Fährmann zur Unterwelt, zu erweichen:

 

Charon stößt ihn zunächst zurück:

 

Charon wird hypnotisiert (griech. hypnós= Schlaf):

Einschätzungen nach Juslin-Matrix
(2016: links Ausdruck, rechts Hörempfinden; 2017: Hörempfinden):

8.1 Gründungsfigur der Oper (Monteverdi)

Bereits in der Antike wurden Schauspiele mit Musik aufgeführt. Das setzte sich fort in der Tradition der mittelalterlichen Passionsspiele und den musikalisch begleiteten Schauspielen der Renaissance. In diesen wird erstmals seit der Antike Orpheus als Sänger inszeniert – mit dem Hochzeitsfestspiel Orpheus und Amphion (1585). Mutmaßlicher Komponist der nicht erhaltenen Musik war Andrea Gabrieli.

Die Oper im eigentlichen Sinne wurde dann mit drei Werken begründet, die alle das Narrativ von Orpheus und Eurydike behandeln: Peri (1600), Caccini (1602) sowie

L'Orfeo (1607) von Monteverdi.

Der Komponist bedient sich eines Kontrasteffekts, um die Ãœberwindung der Schwelle zur Unterwelt musikalisch zu plausibilisieren.

Zunächst lässt er Orpheus eine Arie singen, die auf ihre Wirkung hin berechnet ist: La Speranza, die Hoffnung, gab ihm den Rat, einen herzöffnenden, schönen Gesang, einen "bel canto", anzustimmen. Mit extrem melismatischen (von griech. melízein = singen, hier: mehrere Noten auf eine Silbe singen) Verzierungen gibt Orpheus in seinem Bittgesang Possente Spirto höchst artifizielle Probe seiner Kunst. Dabei unterstreichen Echo-Effekte die intendierte Resonanz-Wirkung der Musik, indem sie den Eindruck erwecken, daß die Natur selbst auf den "bel canto" antwortet.

Doch Charon, der so kunstvoll angeflehte Fährmann zur Unterwelt, bleibt völlig unbeeindruckt. Monteverdi demonstriert mit dieser musikdramatischen Pointe, daß es nicht das kunstvolle Dekor ist, das der Musik ihre Macht verleiht. Erst als Orpheus sich selbst und seinen Zuhörer vergisst und – verzeifelt über die Unwirksamkeit seines reich verzierten Bittens – in einen unmittelbareren Gefühlsausdruck übergeht, führt das zum Erfolg.

Denn Charon ist kein Kunstkenner; er reagiert nicht interpretativ, sondern physiologisch auf Klänge. Die Macht der Musik zeigt sich an ihm im Modus einer hypnotischen Überwältigung: Gegen seinen Willen schläft er ein und gibt so den Weg zum Hades frei.

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