Peter Matussek

Medienästhetik des Klangs

4. Hörerzentrierte Klangforschung

4.5 Die Innovation der Sound Studies

       Schulze (2008): aus der Einleitung






Sound (ist) das Unaufschreibbare an der Musik und unmittelbar ihre Technik.

Kittler (1993): 133

Schafer (2010)                   Kassabian (2013)

 

As part of a larger physical phenomenon of vibration, sound is a product of the human senses and not a thing in the world apart from humans. Sound is a little piece of the vibrating world.

Sterne (2003): 11

4.5 Die Innovation der Sound Studies

Sound Studies sind ein noch junges Forschungsgebiet mit hohem Entwicklungspotenzial. Die Neuartigkeit ihres Ansatzes zeichnet sich dadurch aus, dass sie die bisherige, vorwiegend auf musikalische Motivanalyse fokussierte Erforschung auditiver Phänomene durch historisch-anthropologische und medientechnische Kontextualisierungen erweitert. Mit ihrer Orientierung an Klängen (statt bisher an Tönen) trägt sie dem subjektiven Faktor auditiver Wahrnehmungen Rechnung. Gegenüber den herkömmlichen Werk- und Strukturanalysen rückt nun das Hören ins Zentrum des Interesses (s. die Fragestellungen von Holger Schulze, Mitbegründer der 2012 gebildeten European Sound Studies Association und Hg. der Buchreihe Sound Studies).

Zu den Impulsgebern der neuen Forschungsrichtung gehört u.a. der 2011 verstorbene deutsche Medienwissenschaftler Friedrich Kittler, der bereits mit seiner Habilitationsschrift Grammophon, Film, Typewriter (1986) die technische Vermitteltheit der Hörwahrnehmung in der Moderne betonte. Die auf der Folie zitierte Sound-Definition Kittlers geht von einem technischen a priori aus, d.h. sie unterstellt, dass die treibende Kraft hinter aller kulturellen Veränderungen die Technik, insbesondere die Kriegstechnik sei.

Eine Strömung der Sound Studies folgt dieser Hypothese (vgl. Goodman 2010), doch ihre entscheidende Innovation verdanken sie einer medienphänomenologischen Sichtweise, die sich zwar der technischen Vermitteltheit unserer Hörwahrnehmung bewusst ist, zugleich aber deren Einbettung in die Situationen und Atmosphären lebensweltlicher Kontexte berücksichtigt (Sterne 2003).

Ein maßgeblicher Vorläufer dieser Forschungsrichtung ist der kanadische Komponist und Klangforscher Raymund Murray Schafer, der 1971 das World Soundscape Project begründete – ein Vorhaben, das die Geräuschkulissen unserer Lebenswelt dokumentiert, um unsere auditive Wahrnehmung für ein ökologisch orientiertes Hinhören zu sensibilisieren (s. Buchtitel). Für die Sound Studies greift diesen Ansatz u.a. die britische Forscherin Anahid Kassabian in ihrem Buch Ubiquitous Listening auf (2013), in dem sie die enge Verflechtung von Hörkultur und Sound-Technologie – etwa zur Stimmungsregulierung – untersucht.

Auch die Universität Siegen ist maßgeblich am Aufbau des neuen Untersuchungsfeldes beteiligt. Mit ihren Forschungsschwerpunkten Auditive Medienkulturen (Volmar/Schröter 2013), Musiktherapie (Kapteina 2000), Musik und Gefühl (Hartung/Reißmann/Schorb 2009) oder Historische Anthropologie des erinnernden Hörens (Matussek 2001a; 2002; 2007) verfügt sie über ein breites Spektrum an einschlägigen Kompetenzen, die aktuell weiter ausgebaut werden.



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