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Orpheus. Zur Historischen Anthropologie des Hörens | ||||
Das Hören ist ontogenetisch der älteste unserer Sinne. Bereits im Mutterleib werden Klänge wahrgenommen und bilden rudimentäre Gedächtnisspuren aus. Dies dürfte auch der Grund dafür sein, daß Musik manchmal unser Erin-nerungserleben bis in archaische Dimensionen zu öffnen scheint. Der Mythos von Orpheus, dem sagenhaften Sänger, der Menschen, Tiere und sogar Stei-ne in ihrem Innersten zu rühren vermochte, enthält die Urszene dieses an-thropologischen Vermögens: Als seine Eurydike stirbt, erinnert seine Musik so bewegend an sie, daß sie wieder lebendig wird. Das "Leben" der Erinnerung hat freilich seine eigenen Gesetze. Man darf es nicht - wie Ovid formuliert - "begierig" haben wollen; es muß in der ästhetischen Schwebe bleiben, sonst verschwindet es. |