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Peter Matussek Naturbild und Diskursgeschichte. 'Faust'-Studie zur Rekonstruktion ästhetischer Theorie |
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Stuttgart: Metzler 1992
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Einleitung. Für eine physiognomische Naturästhetik
Erster Teil. Von der ästhetischen Theorie zur Naturästhetischen Heuristik
I. Deskription
A. Adornos 'Idee der Naturgeschichte B. Formkategorien 1. Symbol und Allegorie 2. Mimesis und Konstruktion 3. Zur Akzeptanz der Formkategorien C. Interpretationsebenen 1. Kommentar und Kritik 2. Konstellation 3. Zur Akzeptabilität des Konstellationsverfahrens
II. Explikation
A. Das Münchhausen-Dilemma B. Linguistic Turn Der Minimalkonsens des Code-Modells C. Semiologische Explikation der Formkategorien 1. Symbolische Einheit und allegorische Differenz 2. Mimetische Identifikation und konstruktive Konfrontation
III. Reformulierung
A. Kommentar: Rekonstruktion von Diskurspositionen 1. Die kommunikationstheoretische Auslegung des Code-Modells 2. Reformulierung der Formkategorien auf Kommentar-Ebene 3. Das Problem der theoretisierten Ästhetik B. Kritik: Dekonstruktion des Kommentars 1. Die poststrukturalistische Auslegung des Code-Modells 2. Reformulierung der Formkategorien auf Kritik-Ebene 3. Das Problem der ästhetisierten Theorie C. Rezeptionsgeschichte: Vermittlung der Interpretationsebenen 1. Eine rezeptionsästhetische Auslegung des Code-Modells 2. Reformulierung der Interpretationsebenen 3. Der veränderte Status ästhetischer Urteile
Zweiter Teil. Naturbilder in Goethes Faust
I. Das expressive Naturbild
A. Poiesis. Die Sachgehalte der Erdgeistbeschwörung 1. Der Anspruch auf unmittelbare Naturerfahrung 2. Der Anspruch auf fundamentales Naturrecht 3. Geschichte unterm Zeichen der Natur B. Aisthesis. Rebellionen 1. Romantischer Schmerz und jungdeutsches Faustfieber (1775-1848) 2. Nominalistischer Realismus (1848-1870) 3. Positivistisch-irrationalistischer Wille zur Macht (1870-1918) 4. Neukantianer und Existentialisten (1918-1933) 5. Das Erhabene und die Banalität des Bösen (1933-1945) 6. Restaurationsstörungen (1945-1968) 7. Bürgerschrecks und Jung-Kantianer (1968-1990) 8. Résumé der Rezeptionsgeschichte C. Katharsis. Die Aporie abstrakter Unmittelbarkeit 1. Das Inadäquatheits-Problem 2. Das Fundamentalismus-Problem 3. Konsequenzen aus der Aporie abstrakter Unmittelbarkeit
II. Das sympathetische Naturbild
A. Poiesis. Die Sachgehalte des Wald und Höhle-Monologs 1. Der Anspruch auf hermeneutisches Naturverstehen 2. Der Anspruch auf naturgemäße Reformen 3. Geschichte im Zeichen der Natur B. Aisthesis. Rückzüge 1. Verzweifeltes Vertrauen (1790-1848) 2. Reichs-Integration (1848-1870) 3. Impressionen der Industriegesellschaft (1870-1918) 4. Fluchten aus Weimar (1918-1933) 5. Innere Emigration (1933-1945) 6. Innere Einkehr (1945-1968) 7. Sanfte Alternativen (1968-1990) 8. Résumé der Rezeptionsgeschichte C. Katharsis. Die Aporie des erklärten Verstehens 1. Das Problem hermeneutischer Objektivität 2. Das Problem des guten Willens 3. Konsequenzen aus der Aporie erklärten Verstehens
III. Das harmonikale Naturbild
A. Poiesis. Die Sachgehalte des Osterspaziergangs 1. Der Anspruch auf analogische Naturanschauung 2. Der Anspruch auf natürliche Ordnung 3. Natur im Zeichen der Geschichte B. Aisthesis. Restaurationen 1. Die klassische Synthese (1806-1848) 2. Grüne Stellen (1848-1870) 3. Naturformen des Menschenlebens (1870-1918) 4. Warmes Behagen (1918-1933) 5. Goethes morphologischer Auftrag (1933-1945) 6. Hymnus auf den erlösten Menschen (1945-1968) 7. Biologie des Alltags (1968-1990) 8. Résumé der Rezeptionsgeschichte C. Katharsis. Die Aporie erpreßter Versöhnung 1. Das Problem der natürlichen Erkenntnis 2. Das Problem der affirmativen Kultur 3. Konsequenzen aus der Aporie erpreßter Versöhnung
IV. Das konstruktivistische Naturbild
A. Poiesis. Die Sachgehalte des Schlußmonologs 1. Der Anspruch auf abstrakte Naturerkenntnis 2. Der Anspruch auf technische Naturbeherrschung 3. Natur unterm Zeichen der Geschichte B. Aisthesis. Visionen 1. Schwierigkeiten mit der Ästhetik des Häßlichen (1832-1848) 2. Unverstandener Naturhaß (1848-1870) 3. Faust als Gründer (1870-1918) 4. Konstruktivisten und Konstruktive (1918-1933) 5. Ringen um neuen Heimatboden (1933-1945) 6. Tragik der Tat (1945-1968) 7. Umkehrungen (1968-1990) 8. Résumé der Rezeptionsgeschichte C. Katharsis. Die Aporie negativer Utopik 1. Das Problem der immanenten Kritik 2. Das Problem des reflexiven Handelns 3. Konsequenzen aus der Aporie negativer Utopik
Schluss. Diesseits der Heuristik
Literaturverzeichnis
Einleitung.
Auf den Schillertagen 1986 in Mannheim stellte Theaterregisseur Hansgünther Heyme die Gretchenfrage der Saison: Kann man nach Tschernobyl noch den Faust inszenieren? Natürlich fiel die Antwort positiv aus. Nicht nur für Heyme. Und dank perennierender Umweltkatastrophen nicht nur in der Tschernobyl-Saison. Die Spielpläne der letzten Jahre sind offenbar von der Überzeugung getragen, daß Faust im Zeitalter der High-Tech-Katastrophen durchaus inszeniert werden könne, ja geradezu inszeniert werden müsse. Goethes Drama ist, wie man so sagt, aktuell. Aber was heißt das eigentlich? Wieso kann ein Stück, dessen Naturbild allenfalls von Deichbrüchen, nicht aber von Reaktorunfällen weiß, immer noch für zeitgemäß gehalten werden? Wie kann es den Wissenshorizont seiner Zeit so weit überragen, daß es immer wieder neue Deutungen evoziert? Nur wenn wir eine recht kühne Unterstellung machen, läßt sich das erklären: die Unterstellung, daß Kunstwerke über den Lauf der Geschichte mehr wissen als der kompetenteste Diskurs. Der Ästhetik gilt sie als selbstverständlich. So schreibt Walter Benjamin im Passagenwerk, es sei ja bekannt, daß die Kunst vielfach, in Bildern etwa, der wahrnehmbaren Wirklichkeit um Jahre vorausgreift. Ästhetische Gebilde, erläutert er am Beispiel der Mode, seien die geheimen Flaggensignale der kommenden Dinge. Wer sie zu lesen verstünde, der wüßte im voraus nicht nur um neue Strömungen der Kunst, sondern um neue Gesetzbücher, Kriege und Revolutionen.[1] Explizit gemacht wie hier, wirkt das, was wir in der Tat mit Benjamin als bekannt voraussetzen, doch gewagt. Beweisbar jedenfalls ist die Antizipationsfähigkeit der Kunst nicht. Auch dadurch nicht, daß zum Beispiel Goethes Faust seine Interpreten tatsächlich schon zu Zeitdiagnosen veranlaßt hat, die kommende Gesetzbücher, Kriege und Revolutionen vorhersagten.[2] Denn solche konkreten Prognosen sind immer erst dann möglich, wenn sie bereits in den Diskurshorizont der Geschichte eingegangen sind. Wenn etwa Heine 1833 im Faust die Prophezeiung einer deutschen Revolution sieht, dann liest er natürlich seine französischen Erfahrungen in das Drama hinein. Oder wenn Wilhelm Böhm hundert Jahre später das Werk als Warnung vor dem chauvinistischen Kriegspotential interpretiert, so geschieht auch dies vor dem Hintergrund einer bereits analysierbaren Zeittendenz. Und wenn schließlich Heyme Faust als Kopfmenschen inszeniert, dessen Weg zur Atombombe und Tschernobyl geführt[3] habe, dann ist es erst recht nicht die Antizipationsfähigkeit, sondern bestenfalls die Aktualisierbarkeit des Dramas, die damit unter Beweis gestellt wird. Benjamin hingegen unterstellt, daß die Werke in geheimen Botschaften Dinge ankündigen, von denen wir noch keinen Begriff haben, daß sie sich gerade durch ihre Fremdheit als authentisch erweisen. Die Kunst liefert keine Codiertabellen zu ihren Flaggensignalen. Eben dadurch üben sie ihre Faszination auf den Interpreten aus: Wer sie zu lesen verstünde Das antizipatorische Potential der Werke hat sein Wesen in seiner Differenz zu den etablierten Codes. Diese Differenz ist nicht von der Art bloßer Gegenbildlichkeit. Wenn zum Beispiel Hans Jonas, für einen verantwortlichen Technikeinsatz werbend, den Deiche-Bauer Faust ins Visier nimmt, um festzustellen, daß sich die Fronten verkehrt hätten, weil wir der Natur gefährlicher geworden seien, als sie es uns jemals war[4], dann ignoriert er all die Hinweise des Stücks, die bereits die Gefahren selbstherrlicher Subjektivität artikulieren: Fausts Blindheit etwa, die ihn darüber hinwegtäuscht, daß die Arbeitsgeräusche, die vom Fortschritt seines technischen Projekts zu künden scheinen, in Wirklichkeit die eigene Grablegung vorantreiben; oder die Unterwerfung des Sprachmaterials unter Kausalitätszwänge, die Fausts Proklamationen von Gleichheit und Freiheit unglaubwürdig macht; die konfrontative Logik seiner Maximen schließlich, deren unduldsamer Maximalismus nicht nur die Verantwortungsethik des Technokraten desavouiert, sondern noch die lediglich mit umgekehrten Fronten argumentierende Verantwortungsethik seines Kritikers.[5] Wenn es solche Hinweise gibt (die ich hier nur als Interpretationsmöglichkeiten andeute), dann sind sie nicht in den Inhalten, sondern in der Form zu suchen. Die Form ist es, durch die der künstlerische Ausdruck diskursive Mitteilbarkeit konterkariert. Deshalb kann er ihr vorgreifen. Für die Ästhetik ist das ein Gemeinplatz sollte man jedenfalls meinen. Aber wie kann sie dieses Wissen umsetzen? Welche Navigationshilfen hat sie dem mißlingenden Fortschritt anzubieten? Einschlägige Auskunft erhofft man nicht erst heute, da der Mainstream instrumenteller Vernunft sozusagen biologisch umgekippt ist, vom ästhetischen Naturbegriff. Er ist zuständig für die Flaggensignale der im Rationalisierungsprozeß gestrandeten Sehnsüchte, seit das Vertrauen in die metaphysische harmonia naturae nicht mehr trägt. Mit der Renaissance beginnt das geschichtliche Denken, Natur theoretisch und praktisch beherrschbar zu machen. Was in seinem Diskurs nicht aufgeht, übernimmt der bildliche Ausdruck ein Ergänzungsverhältnis, bis der Glaube an die vernünftige Weltordnung durch das Erdbeben von Lissabon endgültig erschüttert wird. Die Unberechenbarkeit der Natur, von der die Wissenschaft sich zweckmäßig zu emanzipieren suchte, fand ihren abgespaltenen Ort in der Zwecklosigkeit der autonomen Kunst. Der ästhetische Naturbegriff entfaltete sich dabei weniger als Kompensation verlorener Geborgenheiten[6] denn als Antizipation einer diskursflüchtigen Freiheit. Die Ansicht, schrieb Schelling, welche der Philosoph von der Natur künstlich sich macht, ist für die Kunst die ursprüngliche und natürliche. Was wir Natur nennen, ist ein Gedicht, das in geheimer wunderbarer Schrift verschlossen liegt. Doch könnte das Räthsel sich enthüllen, würden wir die Odyssee des Geistes darin erkennen, der wunderbar getäuscht, sich selber suchend, sich selber flieht; denn durch die Sinnenwelt blickt nur wie durch Worte der Sinn, nur wie durch halbdurchsichtigen Nebel das Land der Phantasie, nach dem wir trachten.[7] Die von vornherein sentimentalische Perspektive der autonomen Ästhetik, wie sie sich hier dokumentiert, bleibt bis in die Moderne hinein bestimmend für das Verhältnis von Naturbild und Diskursgeschichte. Es ist ein Negationsverhältnis. Als solches bleibt es bis zu Adornos Diktum, das Naturschöne sei die Spur des Nichtidentischen an den Dingen im Bann universaler Identität[8], unverändertes Strategem der Naturästhetik. Geändert aber hat sich die Diktion. Schon die Gegenüberstellung der enthusiastischen Sprache Schellings und der zurückhaltenden, ja asketischen Adornos bestätigt offenbar Jörg Zimmermanns Diagnose von 1982, es herrsche eine Verlegenheit der zeitgenössischen Ästhetik gegenüber dem Naturschönen[9]. Diese Verlegenheit, fordert er in seinem Sammelband Das Naturbild des Menschen, sei angesichts der drängenden Umweltprobleme aufzugeben, um endlich die von Adornos Prinzip der Negativität tabuisierte Rekonstruktion des ästhetischen Naturbegriffs[10] in Angriff zu nehmen. Zwei Jahre zuvor bereits hatten sich die Teilnehmer des 13. Wisconsin Workshop derselben Aufgabe gestellt, indem sie sich der literarischen Naturbewältigung unter der Perspektive eines erwachenden ökologischen, ja im weiteren Sinne alternativen Bewußtseins[11] annahmen. Dennoch gibt es erst seit kurzem theoretische Konzepte einer entsprechend rekonstruierten Naturästhetik.[12] Sie zeichnen sich insbesondere durch eine Abwendung von kognitivistischen Konzepten aus, die in Adornos Wahrheitsästhetik noch dominierten.[13] Stattdessen wird die ausgeführte Ästhetik der Natur entweder zum Teil einer Ethik des guten Lebens, wie sie Martin Seel vorgelegt hat[14], oder einer Theorie sinnlich-leiblicher Wahrnehmung, wie sie Gernot und Hartmut Böhme projektieren.[15] Während Seel sich dem akuten Desiderat einer naturästhetischen Terminologie nach Adorno mit einer merkwürdig unbekümmerten Apodiktik entzieht[16], haben die Brüder Böhme die zentrale Bedeutung des Sprachproblems erkannt. Sie kritisieren Adornos Zurückhaltung gegenüber einer positiven Bestimmung ästhetischer Natur und sehen darin wie überhaupt im Grundsatz der Ästhetik nach Kant, daß das Interesse am Schönen kein empirisches sein dürfe[17] eine kognitivistische Abwehr verdrängter Impulse.[18] Um die affektive Betroffenheit durch die Natur wieder diskursfähig zu machen, fordern sie im Rekurs auf das noch nicht in Kunst und Philosophie zerfallene Weltbild der Renaissance eine Rehabilitation der Lehre von der Sprache der Natur[19]. Kann ein solcher Rückgriff auf vormodernes Denken die erhofften Resultate bringen? Ich bezweifle es. Denn die monierte Verlegenheit gegenüber der schönen Natur hat ihre guten Gründe, die aus der Theoriegeschichte hervorgehen. Mochte die Renaissance noch auf eine Signaturenlehre vertrauen, die in der Zeichenschrift der Natur die Offenbarung Gottes entzifferte, so läßt schon Kants Kritik der Urteilskraft als Geltungsbasis der Rede über das Ästhetische lediglich eine hypothetische Vernunft zu, den intellectus archetypus, den man sich nur negativ, nämlich bloß als nicht diskursiven[20] denken dürfe. Die idealistische Ästhetik suchte dieses Negative dialektisch einzuholen, indem sie es als das Andere des naturwissenschaftlichen Naturbegriffs in der Bewegung der spekulativen Vernunft aufhob. Mit der Ablösung des philosophischen durch den szientifischen Rationalitätsbegriff wurde die Begründungsbasis dieser Vermittlung hinfällig. Der endgültige Bruch zwischen Sinnlichkeit und Idee, deren Übereinstimmung für Hegel noch das Wesen des Schönen ausmachte, war von diesem vorgedacht[21] vollzogen. Die Philosophie der Kunst zerfiel seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in philologische Wissenschaft und ästhetizistische Remythologisierung. Die beiden Richtungen inhärierende Reflexionsfeindschaft, die die Natur entweder zum Topos verdinglichte oder zur Verzauberung der entzauberten Dingwelt idealisierte, wirkten auf das künstlerische Naturbild zurück. Als Flaggensignal in Benjamins Sinne konnte es nur dadurch überleben, daß es sich affirmativer Vereinnahmung entzog. Von Baudelaire[22] bis Beckett[23] flüchtete es sich vor seiner Degradierung zum Kompensat, indem es sich selbst als Bild der Natur negierte. Eine Ästhetik, die dieser Reaktionsform auf die restlose Historisierung der Natur gerecht werden und doch dem Naturschönen die Treue halten wollte, konnte dies nur durch die Tabuisierung seines Begriffs. Schuld am Unstern über der Theorie des Naturschönen, schreibt Adorno, ist weder die korrigierbare Schwäche der Reflexionen darüber noch die Armut des Gesuchten. Vielmehr wird es bestimmt von seiner Unbestimmtheit, einer des Objekts nicht weniger als des Begriffs.[24] Adornos Verlegenheit gegenüber dem Naturschönen gründet also, wie Zimmermann einräumt, auch in begrifflichen Schwierigkeiten[25], nämlich der Scheu vor terminologischen Vergewaltigungen. Die gelehrte Ungeniertheit[26] der Postmoderne läßt diesen Vorbehalt freilich nicht mehr gelten. Gerade im Verzicht auf eine affirmative Sprache der ästhetischen Natur erkennt sie die ausgrenzende Gewalt logozentrischer Rationalität, die sie zugunsten einer neuen Empirie der Sinne durchbrechen möchte. So ist es auch zu verstehen, wenn sich Gernot Böhme in seinem Plädoyer Für eine ökologische Naturästhetik etwas davon verspricht, die Frage der Naturschönheit als eine naturwissenschaftliche [zu] bearbeiten[27]. Ich glaube allerdings, daß dieser Ansatz, den ästhetischen und diskursiven Aspekt von Natur wieder zusammenzuführen, seinen eigenen kritischen Intentionen im Weg steht. Ein leibphilosophischer Synkretismus, der die Erfahrung von Atmosphären, wie man sie an Kunstwerken macht, zu artikulieren sucht und hierfür die Entwicklung disziplinierter und intersubjektiv verbindlicher Sprechweisen[28] fordert, droht durch Identifikation zu destruieren, was er erfahrbar machen möchte. Gewiß ist die kantische Abspaltung des empirischen vom intellektuellen Interesse am Schönen eine Entfremdungserscheinung. Doch der Versuch, diese Entfremdungserscheinung durch eine Umkehrung der kopernikanischen Wende rückgängig zu machen, kuriert das Symptom, nicht ihre Ursache. Indem er die Differenz nivelliert zwischen Anschauung und Begriff, Bild und Diskurs, beraubt er die Kunst ihres kritischen Potentials, das auf den Kontrasteffekten dieser Gegensätze beruht.[29] Eine Naturästhetik, die sich nur auf die Brauchbarkeit des künstlerischen Naturbildes etwa für die ökologische Stadtplanung[30] kaprizierte, würde die oppositionelle Energie seiner unbrauchbaren Aspekte nicht ausschöpfen.[31] Denn die Funktion der ästhetischen Natur besteht in ihrer Disfunktionalität. Anstatt, wie es auch Zimmermann fordert, die Aufgabe des Künstlers in einer Weise neu zu definieren, die seine Verantwortung gegenüber der Natur als Zweck in sich selbst deutlich macht[32], sollte es der Kunst überlassen bleiben, auf ihre Weise zu artikulieren, was aus dem Naturschönen in der Welt der Zwecke geworden ist. Nur die Freiheit von derlei Rücksichten prädestiniert das künstlerische Naturbild zum geheimen Flaggensignal. Was es über die Diskursgeschichte mitzuteilen hat, artikuliert es durch eine Physiognomie, die in ihrer Eigenart nur dadurch zu Bewußtsein kommt, daß sie als das Negative kommunikativer Mitteilung bestimmt wird. Ich möchte deshalb für eine Naturästhetik plädieren, die die Werke im Sinne Adornos als die ihrer selbst unbewußte Geschichtsschreibung[33] zu deuten sucht. Das heißt, ich möchte anknüpfen an ein Verständnis von Ästhetik, das sich in der Moderne herausgebildet hat und demzufolge die Kunst als das andere begrifflicher Diskurse zu betrachten ist. Durch eben diese Oppositionsbestimmung nun wird eine Ästhetik, die ihre Phänomene als Negationsverhältnis der Diskursgeschichte zu beschreiben sucht, zur Naturästhetik. Meine Definition des Kompositums, die von der derzeit gängigen abweicht, beruht also nicht auf einem topologischen, sondern auf einem modalen Kriterium: Nicht als einen Gegenstand (unter anderen möglichen) werde ich das künstlerische Bild der Natur thematisieren, sondern als eine Physiognomie, die sich durch ihr negatives Verhalten zur Diskursgeschichte als Naturbild qualifiziert. Daß ich gleichwohl an der doppeldeutigen und folglich mißverständlichen Vokabel festhalte, hat auch strategische Gründe. Ich möchte einem Sprachgebrauch entgegenwirken, der sich daran gewöhnt hat, von Naturästhetik nur dann zu sprechen, wenn Natur in den Werken explizit thematisch wird. Wie ich oben zu zeigen versuchte, wird damit eben jener Verdinglichungstendenz Vorschub geleistet, der die ästhetische Moderne sich zu Recht entzog. Die topologisch bestimmte Naturästhetik reduziert ihren Fokus um die Werke bzw. um diejenigen ihrer Aspekte, die das Naturschönen nicht als ein identifizierbares Sujet, sondern als Physiognomie zur Darstellung bringen und das sind die für die Frage nach dem anderen der Diskursgeschichte wesentlichen. Zweifellos haben sich die sprachlichen Anforderungen, jene unbewußte Geschichtsschreibung als Negation der bewußten zu thematisieren, im Diskussionskontext der Postmoderne gewandelt. Das bedeutet aber nicht, daß Adornos terminologische Potentiale erschöpft seien, Naturästhetik als Diskurskritik zu betreiben. Worin sie nach wie vor bestehen und wo über sie hinausgegangen werden muß, ist der Gegenstand des ersten Teils der vorliegenden Arbeit. Hier muß ich mich mit Andeutungen über dessen Problemstellung begnügen. Der doppelsinnige Titel Ästhetische Theorie darf ebensowenig im Sinne einer ästhetisierten Theorie[34] wie dem einer theoretisierten Ästhetik aufgefaßt werden. Adorno vermeidet es, das seit Baumgarten systematisch Unterschiedene, sinnliche und rationale Erkenntnis[35], synkretistisch zu verschmelzen, weil er gerade aus ihrer Antithetik die Illuminationen gewinnt, die über den Horizont gewöhnlicher Erfahrung hinausreichen. Diese Antithetik ist aber nach dem Wegfall der idealistischen Vernunftmetaphysik in einen unversöhnlichen Hiat auseinandergebrochen. Was die These der Konvergenz von künstlerischer und philosophischer Wahrheit[36] einzig noch trägt, ist der Wechselbezug von physiognomischer und bestimmter Negation. Deshalb, so Adornos Konsequenz, bedarf Kunst der Philosophie, die sie interpretiert, um zu sagen, was sie nicht sagen kann, während es doch nur von Kunst gesagt werden kann, indem sie es nicht sagt.[37] Mit dieser Paradoxie sucht Adorno sowohl einer theoretischen Gängelung der Kunst[38] als auch einer ästhetizistischen Selbstgenügsamkeit zu entgehen. Stattdessen sucht er, von Benjamin inspiriert, die ästhetischen Konfigurationen als Chiffren philosophischer Probleme zu deuten.[39] Sein Formbegriff verfügt über die hierfür nötige Ambiguitätstoleranz. Er vollzieht den terminologischen Brückenschlag zwischen ästhetischer Artikulation und philosophischer Argumentation, indem er die tradierten Formkategorien über ihren kunstgeschichtlichen Rahmen hinaus erweitert und zu Grundbegriffen einer ideologiekritischen Geschichtsphilosophie in Beziehung setzt. So führt er etwa, wiederum angeregt durch Benjamin, die Diskussion des Verhältnisses von Natur und Geschichte im Medium der Diskussion allegorischer und symbolischer Formen; deren Konfigurationen erscheinen ihm als objektivierte Physiognomien einer naturgeschichtlichen Dialektik. Dieses Verfahren konzipiert Adorno bereits mit seiner Idee der Naturgeschichte von 1932, von der meine terminologische Reformulierung ihren Ausgang nimmt.[40] Die Fruchtbarkeit wie auch die Problematik dieses Verfahrens läßt sich insbesondere an der Faustforschung zeigen. So sind zum Beispiel Wilhelm Emrichs Buch Die Symbolik von Faust II [41], dem nicht nur die Methodik der Faustinterpretation, sondern der Literaturwissenschaft überhaupt wichtige Impulse verdankt, und Heinz Schlaffers Gegenstück, Faust Zweiter Teil. Die Allegorie des 20. Jahrhunderts [42], maßgeblich von Adorno bzw. Benjamin beeinflußt.[43] Doch schon die Konfrontation dieser beiden Interpretationen läßt die terminologischen Unsicherheiten hervortreten, die einer unverkürzten methodischen Umsetzung des naturgeschichtlichen Ansatzes entgegenstehen. Während Emrichs werkzentrierte Deutung zu dem Ergebnis kommt, daß im Faust II ein Umschlag von Geschichte in Natur[44] dargestellt sei, wartet Schlaffers sozialgeschichtlich orientierte Allegorese mit dem konträren Resultat auf: Das Werk zeige, daß die Macht der Natur vergangen[45] und durch die der Geschichte abgelöst worden sei. Adorno hätte wohl beiden Behauptungen partiell zugestimmt, nicht aber jeder für sich. Sein dialektischer Formbegriff, der solche Paradoxien ermöglicht, ist ein Begriffsjoker[46], wie Peter Bürger sagt. Allerdings müssen sich auch Bürgers Versuche, ihn neu zu explizieren und in den Kontext der postmodernen Symbol-Allegorie-Diskussion einzuführen, den Vorwurf gefallen lassen, sie offenbarten eine für die Adorno-Rezeption charakteristische Schwierigkeit, dessen Begriffe anders denn als in ihre Einzelbestimmungen fragmentierte zu instrumentalisieren[47]. In der Tat sind Adornos und Benjamins Termini schwerlich aus ihren Verwendungskontexten zu lösen und methodisch zu operationalisieren. Der Grund hierfür ist aber weniger deren definitorische Unschärfe als vielmehr ein Erkenntnisverfahren, das die Untrennbarkeit von Methode und Darstellung zu seiner Voraussetzung hat: das Verfahren der Konstellation. Durch ihre Konstellation, so die These von Adorno und Benjamin, erhalten die philosophischen Begriffe den ästhetischen Ausdruck zurück, ohne den sie ihren Anspruch, objektive Repräsentation der Wahrheit zu sein, nicht einlösen könnten. Bestimmte und physiognomische Negation, Kommentar und Kritik der Werke sind so ineinander verklammert, daß sich keine kontextunabhängigen Kriterien ästhetischer Termini extrapolieren lassen, ohne das zu verkürzen, wofür sie stehen. Die Beweislast trägt das konstellierende Subjekt. Wollte man an diesem methodologischen Tabu festhalten, wäre eine Erweiterung der naturästhetischen Perspektive im oben genannten Sinne nicht möglich. Eine solche Erweiterung aber ist notwendig. Angesichts der Diskursivierung des spät- und postmodernen Wissens sind die Kontrasteffekte neu zu bestimmen, die die künstlerischen Formen ihr gegenüber bewirken. Die ästhetische Terminologie ist deshalb in zweierlei Hinsicht diskurstheoretisch zu reformulieren: Auf der Ebene des Kommentars zur sprachanalytischen Rekonstruktion und auf der Ebene der Kritik zur sprachkritischen Dekonstruktion. Da sie diesen Forderungen nicht mehr zu genügen scheint, stößt Adornos Ästhetische Theorie heute von zwei Seiten auf Ablehnung: Für die sprachanalytischen Rekonstrukteure der Frankfurter Schule drohen die Konturen des Vernunftbegriffs zu verschwimmen[48], wenn man den philosophischen Diskurs konstellativ ästhetisiert. Die Dekonstruktivisten hingegen monieren, daß Adornos Texte sich im Unterschied etwa zu denen Derridas fast niemals im Ernst auf die Zersetzung des sprachlichen Zeichens, die konkrete Subversion des fixierenden Begriffs, einlassen[49]. In der Tat haben beide Tendenzen mittlerweile das terminologische Repertoire der Ästhetik erweitern helfen. Voraussetzung hierfür war die Preisgabe bewußtseinstheoretischer Erkenntnismodelle und damit auch des Konstellationsverfahrens. Denn es beruhte ebenfalls auf dem Modell eines sich Objekte vorstellenden und an ihnen sich abarbeitenden Subjekts, das freilich bei Adorno sich selbst zu negieren hatte, um in der objektiven Repräsentation der Wahrheit aufzugehen. Ein Paradigmenwechsel von der Theorie des Bewußtseins zur Sprachtheorie hingegen, den Adorno selbst nahegelegt hatte, ohne ihn aber zu vollziehen[50], versprach nun einen Ausweg aus diesem Dilemma. Durch ihn nämlich ließ sich die unausweisbare Intentionalität eines bedeutungskonstituierenden Subjekts ersetzen durch die Gegebenheit seines Sprachgebrauchs, der nun wiederum hinsichtlich seiner jeweiligen Funktionen beschreibbar wurde. Ein linguistic turn Adornos scheint also sinnvoll, sofern daran nicht nur sprachanalytische, sondern auch strukturalistische Verfahren beteiligt sind. Denn beide haben ihre Zuständigkeiten. Habermas Begriff einer kommunikativen Vernunft etwa erhöht die Rekonstruierbarkeit der Sachgehalte, indem er die Gegenbewegungen von Kunst, Wissenschaft und Moral in den Rahmen einer universalpragmatisch fundierten Gesellschaftstheorie rückt.[51] Auf der anderen Seite wenden Foucaults Diskursarchäologie oder Derridas Grammatologie sich dem Geraune der Welt[52] zu und dekonstruieren die logozentrische Sprache zur Freisetzung von Spuren einer unterdrückten Ur-Schrift (écriture)[53]. Die Gegenläufigkeit beider Strategien provoziert natürlich erst recht die Frage, wie sie sich terminologisch aufeinander beziehen lassen. Denn erst der Wechselbezug von sprachanalytischer Rekonstruktion und (post)strukturalistischer Dekonstruktion würde einlösen, was der hier zugrundegelegte Begriff von Naturästhetik erfordert: Die physiognomische Deutung des künstlerischen Naturbildes als des Anderen der Diskursgeschichte. Die beiden Varianten des linguistic turn scheinen sich aber eher auszuschließen. Man vergleiche nur einmal etwa den Mimesis-Begriff Derridas mit demjenigen von Habermas[54], um zu ermessen, wie weit sich beide in gegenläufiger Richtung vom rational-irrationalen Doppelcharakter in Adornos Mimesis-Begriff entfernt haben. Das liegt vor allem an der Unterschiedlichkeit der Grundlagen: Die strukturalistische, von Saussure inaugurierte Variante des linguistic turn rekurriert auf die Differentialität der Zeichenaspekte und eignet sich insofern besonders für eine Beschreibung ästhetischer Sinndestruktionen. Die sprachanalytischen Schulen in der Nachfolge Wittgensteins hingegen haben ihre Stärke in der systematischen Beschreibung dessen, was von der ästhetischen Form subvertiert wird.[55] Beides aber sind Spezialisierungen, die sich, tel quel, eher ausschließen als gegenseitig befruchten. Dieses Dilemma von subversiver Begriffslosigkeit einerseits und systematischer Anschauungsferne andererseits gilt heute als ein Hauptproblem ästhetischer Terminologie. So schreiben die Herausgeber des im Entstehen befindlichen Historischen Wörterbuchs ästhetischer Grundbegriffe: In der ästhetischen und kunsttheoretischen Diskussion wird allgemein ein Verlust an terminologischer Sicherheit, an geschichtlicher Bewußtheit, an gegenstandsspezifischer Konkretion beklagt. Die meisten ästhetischen Begriffe kursieren nur noch in einem traditionellen Restverständnis ihrer Bedeutungsdimension. Zum anderen beobachten wir Formen und Praktiken einer Hyper-Ideologisierung und -Politisierung, die statt das Künstlerische/Ästhetische zu profilieren es eher zu verschlingen drohen oder ins Schlepptau der Philosophie nehmen.[56] Freilich sind solche Mahnungen vor dem Zerfall ästhetischer Grundbegriffe in der Ästhetikgeschichte nichts Neues. Adorno konnte für das Motto seiner Ästhetischen Theorie schon auf Friedrich Schlegel zurückgreifen: In dem, was man Philosophie der Kunst nennt, fehlt gewöhnlich eins von beiden; entweder die Philosophie oder die Kunst.[57] Er selbst dürfte aber den letzten ambitionierten Versuch unternommen haben, beides miteinander zu verbinden, ohne den einen Aspekt dem anderen zu subsumieren. Optimal wäre es also, den erweiterten Beschreibungsspielraum des linguistic turn zu nutzen und gleichzeitig seine beiden auseinanderdriftenden Tendenzen miteinander kompatibel zu machen, um sie im Sinne der Grundintentionen Adornos zu vermitteln. Eine Naturästhetik allerdings, die derart mit Adorno über Adorno hinausgehen möchte, sieht sich in einer ähnlich prekären Lage wie Bernhard Minetti in der Berliner Faust-Inszenierung von Klaus Michael Grüber: Die Regie, auf die düsteren Zwischentöne des Dramas eingehend, wollte, daß er seinen Monolog flüstert; das Premierenpublikum aber rief unmutig lauter!, weil es den Text nicht verstehen konnte. Nicht weniger dilemmatisch ist die Situation einer Naturästhetik, die weder ihre Befunde den reduzierten Explikationskriterien analytischer Erkenntnis gefügig machen noch Erkenntnisansprüche überhaupt preisgeben will. Daß künstlerische Ausdrucksformen nicht diskursiv sind, gewinnt erhellende Bedeutung erst in deren Konfrontation mit gegebenen Diskurshorizonten. Die aber sind heute geprägt durch einen Informations- und Verwissenschaftlichungsdruck, der mit der zunehmenden Rationalisierung aller Lebensbereiche stetig anwächst. Viele Geisteswissenschaftler sehen sich vor diesem Hintergrund zu Nützlichkeitsnachweisen gedrängt, die nur die Alternative offenzulassen scheinen: Anpassung an die Informationsgesellschaft [58] oder kompensatorische Dennoch-Verzauberung[59] ihrer Defizite. Weder die zur bloßen Medienwissenschaft glattgebürstete noch die zur Zuflucht vor Diskurszwängen auratisierte Ästhetik wird aber ihrer genuin paradoxen Aufgabe gerecht, auf dem jeweils avanciertesten Reflexionsniveau zu sagen, was sich nicht sagen läßt, mit diskursiven Mitteln das antidiskursive Potential der Kunst freizulegen. Minetti unterbrach seinen Monolog und sagte: Ich werde es versuchen. Es wird hoffentlich nicht schlechter dadurch. Auch die Naturästhetik muß immer wieder versuchen, lauter zu sprechen, das Verhältnis von Naturbild und Diskursgeschichte auf der Grundlage aktueller Wissenschaftskriterien zu bestimmen. Auch sie muß aber das Gewaltsame ihres eigenen Diskurses immer wieder transparent machen, um vor diesem Hintergrund das Divergierende, um das es ihr geht, aufscheinen zu lassen. In diesem Sinne werde ich eine linguistisch fundierte Neuformulierung der ästhetischen Terminologie Adornos versuchen, ebenfalls hoffend, daß sie nicht schlechter wird dadurch, daß ihre Resistenzkraft gegenüber dem Bescheidwissen nicht verblaßt. Entgegen einer verbreiteten Auffassung glaube ich, daß eine solche Reformulierung möglich ist[60] und zwar dann, wenn man einen von Adorno und Benjamin selbst nahegelegten Explikationsschritt vornimmt: den der Semiotik.[61] Über ihn lassen sich theoretische Instrumentarien anschließen, die sowohl das sprachanalytische wie das (post-)strukturalistische Potential des linguistic turn nutzbar machen. Die regulative Bedeutung Adornos für die Zusammenführung beider Positionen wird in der Diskussion um die Wissenskonzepte der Moderne und Postmoderne zunehmend sichtbar.[62] Sie kann auch ohne die subjektphilosophischen Implikationen des Konstellationsverfahrens eingebracht werden, wenn man den Wechselbezug von Kommentar und Kritik als hermeneutischen Perspektivenwechsel begreift und seine Erweiterungen, diskurstheoretische Rekonstruktion und diskurskritische Dekonstruktion, dialogisch miteinander konfrontiert wobei der monologische Wahrheitsanspruch Adornos allerdings zu relativieren ist. Ziel des theoretischen Teils dieser Arbeit ist die Durchführung des hier skizzierten Programms. Sie soll die terminologischen Voraussetzungen liefern für die Materialstudien des zweiten Teils, die sich den Naturbildern in Goethes Faust widmen. Sie stehen in einem mehr als nur exemplarischen Bezug zu den erörterten Theorieproblemen. Denn der naturgeschichtliche Ansatz hat, wie oben erwähnt, die Faustforschung nachhaltig beeinflußt. Dieser Einfluß kommt nicht von außen. Adornos und Benjamins ideologiekritischer Versuch, die Dialektik von Natur und Geschichte im Medium des Formgegensatzes von Symbol und Allegorie zu objektivieren, steht in einem expliziten Spannungsverhältnis zur Ästhetik Goethes[63]; er greift Probleme auf, die hier ihren Ursprung haben. Eine Reformulierung der ästhetischen Terminologie Adornos bedeutet also zugleich eine Klärung der historischen Voraussetzungen, über das Naturbild Goethes zu sprechen. Ohne diese Zwischenblende würden die zivilisationskritischen Blicke vom Ende auf den Anfang sich zu Recht den Vorwurf zuziehen, der auf jener Tagung mit tosendem Beifall bedacht wurde: Goethe sei zu schade für die Germanistik. Zu Recht, weil dem populären Bedürfnis nach einer affirmativen Inanspruchnahme des Goetheschen Naturbildes als Alternative zur herrschenden Naturwissenschaft mit philologischen Mitteln allein nicht begegnet werden kann. Nur eine zur Rationalitätskritik erweiterte Literaturwissenschaft, die Adornos Anliegen einer physiognomischen Naturästhetik weiterführt, kann zeigen, worin die Aktualität Goethes tatsächlich besteht. Goethes Erbe, schreibt Hartmut Böhme, ist nicht der Mythos, die Alchemie, die Signaturenlehre, die Naturfrömmigkeit, sondern daß er diese in Kunst transformiert. Kunst allein und ästhetische Erfahrung sind für ihn die möglichen Orte, an denen nichtideologisch die Idee einer erlösten Natur aufscheint, wenn auch nur negativ.[64] Die Sachgehalte dieses Negationsverhältnisses müssen, wenn man Adornos Terminologie linguistisch reformuliert, nicht aus geschichtsphilosophischen Spekulationen gewonnen werden. Ihre Kommentierung kann sich dann nämlich auf empirisch-diskursanalytische Untersuchungen stützen, die die Geschichtlichkeit des Naturbegriffs in theoretische, praktische und ästhetische Aspekte auszudifferenzieren erlauben.[65] Unter den wissenschaftshistorischen Arbeiten zum Verhältnis von Natur und Geschichte in der Goethezeit ist neben Wolf und Dietrich von Engelhardt[66] insbesondere Wolf Lepenies hervorzuheben, der die Epoche als Das Ende der Naturgeschichte beschreibt: Der Niedergang der Chronologie und die Abkehr von naturalen Zeitvorstellungen kennzeichnen auch in der Wissenschaftsgeschichte den Übergang zur Moderne, d. h. den Erwerb historischer, im engeren Sinne entwicklungsgeschichtlicher Denkweisen. Foucault datiert diesen Übergang auf den Zeitraum von 1775 bis 1825; ähnlich verfahren die Historiker verschiedener Einzeldisziplinen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts zeichnet sich jedenfalls ein neues Verständnis der Wissenschaft und der wissenschaftlichen Entwicklung ab. Bereits in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts sieht es so aus, als ob sich die historische Betrachtungsweise in den Wissenschaften durchgesetzt hat.[67] Diesem Prozeß gilt das pathognostische Interesse des Posthistoire, das in der restlosen Historisierung der Natur zugleich den Verlust einer substantiell gehaltvollen Geschichte erkennt. Und es dürfte kein Werk geben, das dem Desiderat einer naturästhetischen Diagnose dieses Prozesses mehr entgegenkommt als Goethes Faust. Drei Gründe möchte ich hierfür nennen: die Entstehungsgeschichte des Dramas, seine Thematik und seine Rezeptionsgeschichte. Die Entstehungsgeschichte korreliert auf allen Stufen mit dem Ende der Naturgeschichte. Im Geburtsjahr des Faust-Dichters erscheint der erste Teil von Buffons Histoire Naturelle. Die Bände folgten jahrweise, und so begleitete das Interesse einer gebildeten Gesellschaft mein Wachstum[68], schreibt Goethe. Und zwar begleitete sie es sein Wachstum als dem eines Kollektivwesens[69], wie der Naturforscher, Politiker und Dichter sich selbst nannte. Das dokumentiert sich panoramatisch in der sechzigjährigen Werkgenese seines Hauptgeschäfts[70]. Denn die offene Konzeption des Dramas gestattete es ihm, auch die abgestreiften Häute[71] darin zu integrieren. Doch erst zu Beginn dieses Jahrhunderts, mit der Überwindung der reziproken Blickverengungen werkimmanenter Stoffhuberei und spekulativer Sinnhuberei[72] die in der Scherer- und Diltheyschule ihre unterschiedlichen Ausprägungen gefunden hatten, wurde die Bedeutung der Goetheschen Naturforschungen für das Verständnis des Werks erkannt.[73] Seither gibt es zwar zahlreiche Arbeiten, die diesen Korrespondenzen nachgehen. Sie führen aber meist, wie Mandelkow feststellt, zu einer harmonistischen Ausblendung der Brüche, Dissonanzen und Widersprüche[74] des Dramas, die dem dichterischen Gehalt nicht gerecht wird. Daher existiert für die Faust-Deutung nach wie vor das oben thematisierte Desiderat, den Wechselwirkungen von naturwissenschaftlichen und ästhetischen Prozessen im Rahmen von Formkategorien nachzugehen, die es gestatten, beide konterkarierend zueinander in Beziehung zu setzen. Die Thematik des Werks spiegelt die Grundantinomie des bürgerlichen Naturverhältnisses, das vitale Verlangen nach unreglementiertem Naturgenuß und die geschichtliche Notwendigkeit von Naturbeherrschung. Fausts tragischer Konflikt ist die Kollision zwischen beiden Tendenzen. Wie ein literarisches Experiment möglicher Verarbeitungen dieses Konflikts durchläuft das Naturbild des Dramas einen Bogen von der emphatischen Naturalisierung der Geschichte in der Erdgeistbeschwörung bis zur positivistischen Historisierung der Natur in der Herrschervision des Schlußmonologs. Goethes Faust präsentiert sich somit als das Drama des Endes der Naturgeschichte. Aber es ist ein Drama, keine Dokumentation. Das heißt: In der ästhetischen Subversion der diskursiven Horizonte jenes wissenschaftsgeschichtlichen Prozesses liegt sein Gehalt. Diese Tatsache kommt noch in den neuesten Faustkommentaren zu kurz.[75] So wird die Chance vertan, mit den Mitteln der Dichtungsinterpretation subtileren Alternativen zur naturbeherrschenden Vernunft nachzuspüren, als sie einem alternativen Denken in den Sinn kommen, das seine Heilsbotschaften aus einem bequemen Naturalismus herleitet. In seiner Rezeptionsgeschichte schließlich entfaltet Goethes Drama seine einzigartige Wirkungspotentialität. Es gibt kaum eine philosophische Strömung, kaum eine politische Position, die sich nicht schon mit Fäusten geschlagen[76] hätte neuerdings, wie oben schon angedeutet, verstärkt im Hinblick auf Fragen der Umweltzerstörung.[77] Daß auch für die Faustrezeption die tragende Achse das Verhältnis von Natur und Geschichte ist, hat Karl Robert Mandelkow unlängst rekonstruiert. Mit ihm bin ich der Ansicht, daß die unterschiedliche Akzentuierung dieses zentralen Problems Aufschluß geben kann über historische Bedingungen und ideologisch-politische Voraussetzungen von Deutungsmöglichkeiten im Umgang mit Goethe[78]. Mit meiner Arbeit möchte ich unter anderem dazu beitragen, das ausufernde Material der Faustrezeption diesbezüglich zu strukturieren und einer Beurteilung im Lichte gegenwärtiger Aneignungsinteressen zuzuführen. Nur im Durchgang durch die überlieferten Lesarten der Naturbilder im Faust, die als Ausdruck je spezifischer Stellungnahmen zum Geschichtslauf zu verstehen sind, gewinnt die ästhetische Kritik ihren Problematisierungshorizont; nur dann entgeht sie der tautologischen Vereinnahmung des Dichterworts durch den Zeitgeist, wie sie auch und gerade die vermeintlich immanente Interpretation von Scherer bis Schadewaldt praktizierte und die auch heute wieder zu beobachten ist.[79] Damit sind die Gründe benannt, die Goethes Faust für eine physiognomische Deutung des Endes der Naturgeschichte prädestinieren als Innervierung der gegebenen Begriffshorizonte und zugleich als deren Transzendierung durch den ästhetischen Ausdruck. Ich werde Naturbilder der vier Entstehungsphasen des Dramas auf jeweils drei Interpretationsebenen zu charakterisieren suchen, indem ich sie philologisch kommentiere, rezeptionsgeschichtlich problematisiere und schließlich ästhetisch kritisiere. Dabei kann ich mich zwar in vielen Einzelfragen auf eine reichhaltige Sekundärliteratur stützen. Doch für eine Interpretation auf zeichentheoretischer Explikationsfolie gibt es kaum Vorarbeiten innerhalb der Faustforschung.[80] Hier war Neuland zu betreten. Das Leitmotiv meiner Arbeit ist der Ausgang des folgenden Dialogs zwischen Jarno und Wilhelm Meister: Wenn ich nun aber, versetzte jener, eben diese Spalten und Risse als Buchstaben behandelte, sie zu entziffern suchte, sie zu Worten bildete und sie fertig zu lesen lernte, hättest du etwas dagegen? Nein, aber es scheint mir ein weitläufiges Alphabet. Enger, als du denkst; man muß es nur kennen lernen wie ein anderes auch. Die Natur hat nur eine Schrift, und ich brauche mich nicht mit so vielen Kritzeleien herumzuschleppen. Hier darf ich nicht fürchten, wie wohl geschieht, wenn ich mich lange und liebevoll mit einem Pergament abgegeben habe, daß ein scharfer Kritikus kommt und mir versichert, das alles sei nur untergeschoben. Lächelnd versetzte der Freund: Und doch wird man auch hier deine Lesarten streitig machen.[81] Im Interesse der einen Schrift ästhetischer Natur ihre vielfältigen Lesarten streitig machen dazu möchte ich mit dem Folgenden beitragen.
[1] Benjamin (1983), Bd. I, S. 112. [Zur Zitierweise s. die Vorbemerkung im Literaturverzeichnis.] [2] Man denke etwa an die Bemerkung Heines aus der Romantischen Schule, das Drama prophezeie eine deutsche Revolution [Heine (1835), S. 402]. Oder man denke an die Bedeutung, die das Faustische für die deutsche Ideologie von der Reichsgründung bis in die Schützengräben des Ersten Weltkrieges, bis in die nationalen Manifeste der Weimarer Zeit und noch in die des Nationalsozialismus [Schwerte (1962), S. 148] hinein gehabt hat. Man denke schließlich an die Warnungen vor dieser Ideologie, die z. B. Konrad Burdach oder Wilhelm Böhm lange vor dem Zweiten Weltkrieg freilich ungehört aus dem Stück herauslasen [vgl. ebd., S. 235ff.]. [3] Nach Sucher (1987), S. 32. [4] Jonas (1987), S. 11. [5] Was ich hier nur als Behauptung aufstelle, ist im IV. Kapitel des Zweiten Teils ausführlicher behandelt. Es spricht jedoch für sich, daß Fausts Perspektive, umrungen von Gefahr (V.11577) zu sein, von der Jonas sich abgrenzt, in dessen eigener Diktion wiederkehrt: das Prinzip Verantwortung definiert sich als Aufgabe der Abwendung [Jonas (1987), S. 11] von Risiken. Zwar haben sich die Fronten verkehrt; die Konfrontationslogik aber ist dieselbe. [6] Dies ist die häufig generalisierend wiederholte These von Joachim Ritter, der, von Petrarca ausgehend, am künstlerischen Naturbild die kompensatorische Funktion hervorhebt, das verlorene Naturganze und den harmonischen Einklang im Kosmos zu vermitteln und ästhetisch für den Menschen gegenwärtig zu halten [Ritter, J. (1963), S. 153]. Er übergeht aber dabei die Tatsache, daß dieses Kompensationsbedürfnis selbst schon die Spuren seiner Defizienz trägt [vgl. zu den Paradoxien des Traditionalismus bei Ritter: Habermas (1985), S. 91], was auch in der Renaissance bereits ästhetisch zum Ausdruck kommt. [Vgl. Bredekamp (1984) und die Anmerkungen dazu von Böhme, H. (1986), S. 261f.] [7] Schelling (1800), S. 696. [8] Adorno (1970), S. 114. [9] Zimmermann, J. (1982b), S. 118. [10]Ebd., S. 148, Anm. 3. [11]Grimm/Hermand (1981), S. VII. [12]Das Kapitel Ansätze einer Kunstphilosophie im Rahmen grüner Politik in Maren-Grisebach (1982), S. 126134 soll dabei nicht unterschlagen werden; es entzieht sich aber mit seinem Plädoyer für die Abschaffung ästhetischer Expertenkulturen just den Fragestellungen, deren Beantwortung ästhetisches Expertenwissen verlangt. [13]Eine Ausnahme bildet hier Schönherr (1989). [14]Seel (1991 ), S. 10. [15]Bislang gibt es hierzu erst Vorstudien Vgl. Böhme, G. (1989a), G. (1989b), Böhme, H. (1991), Böhme, G. (1991), Böhme, G. (1992). [16]Er schreibt: Eigentlich ist es nur eine Begriff, der einer vorbereitenden Klärung bedarf der Begriff der ästhetischen Natur. [Seel (1991), S. 33] Die angekündigte Klärung erschöpft sich dann freilich in der Tautologie, ästhetische Natur sei eine Abkürzung für ästhetisch wahrgenommene Natur [ebd.], die sodann in drei Wahrnehmungsweisen aufgeteilt wird: die imaginative, die korrespondierende und die kontemplative [ebd., S. 34]. Die ästhetische Natur wird somit von vornherein dem Subjekt zugeschlagen, das überdies weder in seiner historisch-sozialen noch sprachlichen Konstituiertheit hinterfragt wird. [17]Vgl. Kant (1790), S. 231. [18]Vgl. Böhme, G. (1989), S. 44ff., der mit seiner Kritik am Intellektualismus der bürgerlichen Ästhetik [ebd., S. 93] nicht allein steht: Vgl. Lyotards Energetik [Lyotard (1978), S. 104], die Adorno vorwirft, noch immer an einer Passion des Sinns festzuhalten [Lyotard (1974-84) S. 75]; vgl. Bourdieu, der ebenfalls in Abgrenzung zur kantischen Ästhetik fordert, daß noch der raffinierteste Geschmack für erlesene Objekte wieder mit dem elementaren Schmecken von Zunge und Gaumen verknüpft wird [Bourdieu (1979), S. 17; vgl. ebd., S. 81ff.]. [19]Böhme, G. (1989), S. 45 u. 54. [20]Kant (1790), S. 362 u. 360. [21]Vgl. Hegel (1835-38), Bd. 1, S. 498f. [22]Baudelaires Absage an die natürliche Natur, die er gelegentlich als Haß auf alles wachsende und grüne Leben stilisieren konnte, bekundet, wie Jauß hervorhebt, noch in der Polemik die Melancholie des unwiderbringlich verlorenen natürlichen Weltverständnisses. [Jauß (1982), S. 178] [23]Hamm: Die Natur hat uns vergessen. Clov: Es gibt keine Natur mehr. Hamm: Keine Natur mehr! Du übertreibst. Clov: Ringsherum. Hamm: Wir atmen doch, wir verändern uns! Wir verlieren unsere Haare, unsere Zähne! Unsere Frische! Unsere Ideale! Clov: Dann hat sie uns nicht vergessen. [Beckett (1957), S. 23] [24]Adorno (1970), S. 113. [25]Zimmermann, J. (1982b), S. 118. [26]Foucault (1966), S. 48. [27]Böhme, G. (1989), S. 53. [28]Ebd., S. 154. [29]Vgl. auch Habermas Kritik an der Einebnung des Gattungsunterschiedes zwischen Philosophie und Literatur bei Derrida [Habermas (1985), S. 219-247]. [30]Vgl. Böhme, G. (1989), S. 56ff. [31]Dies scheint mir die Gefahr zu sein, in die Gernot Böhme mit seiner Forderung gerät, die Ästhetik zu einem Teil der Ökologie zu machen [ebd., S. 50]. Vgl. K. M. Meyer-Abichs Erkenntnisleitende Gefühle [(1988), S. 126-134]. Dagegen betont Hartmut Böhme ausdrücklich die spezifisch künstlerische Qualität, z. B. der Naturästhetik Goethes, in Negation zu ihren diskursiven Sachgehalten [vgl. Böhme, H. (1986) und (1988a)]. Auf die Problematik einer ökologischen Naturästhetik komme ich in den Katharsis-Abschnitten des I. u. III. Kapitel des Zweiten Teils zurück. [32]Zimmermann, J. (1982b), S. 147. [33]Adorno (1970), S. 272 [Hv. P.M.]. [34]Vgl. Bubner (1980). [35]Die Ästhetik (als Theorie der freien Künste, als Logik der unteren Erkenntnisvermögen, als Kunst des schönen Denkens und als Kunst des intuitiven, dem rationalen Denken analogen Erkennens) ist die Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis. [Baumgarten (1750/58), § 1] [36]Erstmals wird sie formuliert in Adorno (1933), S. 370. Vgl. Adorno (1970), S. 197. [37]Adorno (1970), S. 113. [38]Diese findet sich nicht nur in der klassische Widerspiegelungstheorie, sondern auch dort, wo man z. B. der Naturlyrik nur noch einen dokumentartischen Wert für die Gesellschaftstheorie zutraut [Mecklenburg (1977b), S. 19] oder ihre Wirkung darin sieht, daß sie die naturwissenschaftliche Bewußtseinsbildung vorantreibt [Richter, K. (1972), S. 42]. Der spezifische Eigensinn ästhetischer Formen wird durch solche Dienstbarmachung um eben die Potentiale verkürzt, die über den Diskurshorizont der Gesellschaftstheorie oder der Naturwissenschaft hinausragen. [39]Vgl. Benjamins These von der Verwandtschaft des künstlerischen Rätselcharakters mit dem Ideal des philosophischen Problems [Benjamin (1924), S. 172]. [40]S. Erster Teil, Kap. I. [41]Emrich (1943). [42]Schlaffer (1981). [43]Emrich selbst bestätigt dies allerdings erst in einer späteren Veröffentlichung [vgl. Emrich (1981), S. 7]. Es wäre höchst aufschlußreich, schreibt Mandelkow deshalb, diese geschichts- und kunsttheoretische Konstruktion mit ähnlichen Ansätzen bei Benjamin und beim frühen Adorno zu vergleichen, die nach dem Zeugnis Emrichs einen so umwälzenden Einfluß auf den jungen Wissenschaftler gehabt haben. [Mandelkow (1989), S. 114] Daß Emrichs Faustbuch zugleich grundsatztheoretische Probleme wie die Frage nach dem Verhältnis von Ästhetik und Geschichte und nach den Aufgaben und Möglichkeiten von Dichtungsinterpretation überhaupt [Mandelkow (1989), S. 108] aufwirft, ist m. E. selbst schon ein Beleg für die Horizonterweiterung, die durch Benjamins und Adornos naturgeschichtliche Auslegung der ästhetischen Terminologie ermöglicht wird. [44]Emrich (1943), S. 347. [45]Schlaffer (1981), S. 157. [46]Bürger, P. (1989), S. 90. [47]So die Feststellung von Andreas Kilb (1987), S. 99. [48]Habermas (1981), Bd. I, S. 489. [49]Lehmann (1979), S. 669. [50]S. Erster Teil, Kap. II. B. [51]Vgl. Habermas (1981), Bd. II, S. 585. [52]Foucault (1969), S. 13. [53]Derrida (1974), S. 99. [54]Für den einen bezeichnet er eine irrationale Selbstverdoppelung [Derrida (1972b), S. 217], für den anderen einen rationalen Akt der Rollenübernahme [Habermas (1981), Bd. I, S. 523]. [55]Natürlich sind das didaktische Vereinfachungen. So beansprucht etwa der generative Strukturalismus Bourdieus durchaus, Systematisierungsfragen zu lösen, indem er mit seiner Soziologie der symbolischen Formen [Bourdieu (1970)] isomorphe Strukturen quer durch verschiedene Diskursuniversa (zum Beispiel wissenschaftliche und poetische) [Hahn (1986), S. 605] verfolgt. Gerade Bourdieus Beispiel aber verdeutlicht auch das oben angesprochene Problem, daß die konzeptionelle Kompetenz seiner Korrespondenzanalysen unreflektiert bleibt, letztlich an die Computerstatistik abgetreten wird [vgl. Bourdieu (1979), S. 405, Anm. 2]. [56]Barck/Fontius/Thierse (1987), S. 2. [57]Adorno (1970), S. 544. [58]Vgl. Gotzmann (1987). [59]Marquard (1987), S. 13. [60]So beruht z. B. Zimmermanns Behauptung der Unvereinbarkeit einer sprachanalytischen Ästhetik mit der Ästhetischen Theorie Adornos [vgl. Zimmermann, J. (1980), S. 96f.] m. E. auf einer doppelten Verkürzung: Zum einen klammert sie unsinnigerweise just solche Ansätze aus, an denen der Universalienanspruch der Sprachanalyse, die Bedeutung sprachlicher Äußerungen aus ihrem Gebrauch herleiten zu können, seine nichttriviale Bewährungsprobe hätte; zum anderen ignoriert sie die Tatsache, daß Adorno von vornherein einen solchen Universalienanspruch erhoben hatte (Alle philosophische Kritik ist heute möglich als Sprachkritik. [Adorno (1933), S. 370]) Anstatt also die Unterschiedlichkeit der Sprachkonzepte die zweifellos gegeben ist als Unvereinbarkeit festzuschreiben, geht es mir um die Frage, wie sie sich im Sinne einer wechselseitigen Korrektur fruchtbar machen ließe. [61]Benjamin behandelt ausdrücklich die naturgeschichtliche Lesart von Symbol und Allegorie als ein Gebiet der Semiotik [Benjamin (1925), S. 342]. Und für Adorno spricht Kunst nach dem Modell einer nicht begrifflichen, nicht dingfest signifikativen Sprache; es wäre die gleiche, die in dem verzeichnet ist, was dem sentimentalischen Zeitalter mit einer verschlissenen und schönen Metapher Buch der Natur hieß [Adorno (1970), S. 105]. Indem ich die semiologische Explizierbarkeit beider Autoren aufzeige, trete ich zugleich dem Vorurteil entgegen, mit der semiotischen Terminologie werde das Ästhetische auf Signalerkennung reduziert [Böhme, G. (1989), S. 33]. Was auf die informationstheoretische Ästhetik von Bense (1954-60) und schon weniger auf die Ikonologie von Panofsky (1932/64;1939/55) zutreffen mag, zeigt im Hinblick auf Adorno, daß es der Gebrauch dieser Terminologie ist, der zur Disposition steht, nicht ihr Potential. [62]Vgl. Wellmer (1984), Lehmann (1984), Früchtl (1985), Brunkhorst (1990), Menke (1992). [63]Vgl. Benjamin (1925), S. 336ff. Im selben Jahr, in dem Adorno seinen programmatischen Vortrag Die Idee der Naturgeschichte hielt, erneuert Weinhandl die kanonische Maxime: Der Gegensatz von Symbol und Allegorie ist der Schlüssel zur Goetheschen Lebensdeutung in ihrem umfassenden Sinn. [Weinhandl (1932), S. 267] [64]Böhme, H. (1986), S. 272. [65]Gedö (1986) unterscheidet Drei Aspekte der Geschichtlichkeit des Naturbegriffs: erstens die objektive, äußere Natur, zweitens die soziale, gestaltete Natur, drittens die subjektive, innere Natur [vgl. Habermas (1985), S. 396]. [66]Vgl. Engelhardt, D. v. (1979), Engelhardt, W. v. (1982). [67]Lepenies (1976), S. 16. Vgl. das Kapitel Naturgeschichte in Foucault (1966), S.168-173. [68]Goethe (1830/32), S. 229. [69]Soret (1905), S. 146; Gespräch v. 17.2.1832. [70]Goethe (1887-1919), Bd. 3, S. 404; Tagebucheintrag v. 18.5.1827. [71]Goethe (1962-67), Bd. 1, S. 370; Brief v. 9.10.1781 an Charlotte v. Stein. [72]Vgl. Vischer der in seiner Faust-Parodie eine Gesellschaft der an Goethes Faust sich zu tot erklärt habender Erklärer auftreten läßt, bestehend aus Präsident Denkerke, drei Stoffhubern mit Namen Scharrer, Karrer, Brösamle, drei Sinnhubern mit Namen Deuterke, Grübelwitz, Hascherl [Vischer (1861), S. 135]. [73]Das beginnt mit der Arbeit von Wilhelm Hertz (1913); vgl. Mandelkow (1975), S. LXI. [74]Mandelkow (1987), S. 94. [75]Gaiers Urfaust-Kommentar kehrt gar die Theoriegeschichte gegen das Drama, indem er die alchemistische Tradition zur Norm erhebt und stereotyp befindet: Faust verhält sich wieder falsch. [Gaier (1989), S. 318; vgl. Zweiter Teil, Kap. I. B. 7.] [76]Achim von Arnim in seinem Vorwort zur 1818 erschienenen deutschen Nachdichtung von Marlowes Faust; zit. nach Mayer (1961), S. 8. [77]Vgl. auch Christa Wolf (1980), S. 320f., Chargaff (1984), Muschg (1985), Koslowski (1988). [78]Vgl. Mandelkow (1987), S. 69. [79]Denn zweifellos war auch Scherers Programm einer positivistischen Goethe-Philologie [Scherer (1877)] weltanschaulich geprägt als Ausdruck der spekulationsfeindlichen Wissenschaftspolitik im Kaiserreich; ebenso wie Schadewaldts Maxime einer Interpretation Goethes aus Goethe [Schadewaldt (1946/49), S. 280] Ausdruck der Verdrängungsbedürfnisse in der Restaurationsepoche war. Wenn heute wieder die Entdeckung angepriesen wird, daß sich in Goethes Dichtungen naturgemäße Gesetze spiegeln [Hohoff (1989), Klappentext], dann deutet das auf einen ähnlich unkritischen Eskapismus hin. [80]Auch die semiologischen Ansätze von Jens Kruse (1982) [vgl. die Rezension von Berghahn (1986)] und Friedrich Kittler (1985) lassen diesbezüglich zu wünschen übrig. Denn beide verzichten nicht nur darauf, ihre Terminologie auszuweisen, sondern unternehmen gar nicht erst den Versuch, sie mit der Begriffstradition und damit der Geschichte der Faustdeutung zu vermitteln. [81]Goethe (1821/1829), S. 34. |
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