Peter Matussek

Lautschriftbild.

Vom Glück des Stolperns über Medienschwellen

 


Erschienen in: Saul, Nicholas / Steuer, Daniel / Möbus, Frank / Illner, Birgit (Hg.): Schwellen. Germanistische Erkundungen einer Metapher; Würzburg 1999, S. 369-382

 

     
 

Ein Plädoyer für das Stolpern, wie es der Titel dieses Beitrags ankündigt, ist prekär, da es die Gefahr des Stürzens in Kauf nimmt. Die schlimmeren Unfälle allerdings gehen oft auf das Fehlen von Grenzhindernissen zurück. Erinnert sei nur an den hinterlistigen Schwellenabbau, den der amerikanische Physiker Alan Sokal an der Demarkationslinie der two cultures betrieb – und damit die Herausgeber der bis dato hochangesehenen Zeitschrift Social Text  tüchtig blamierte, die nicht bemerkten, daß der Artikel Transgressing the Boundaries[1] voller Absurditäten steckte. Sokals offensive Beseitigung der Barrikaden zwischen Geistes- und Naturwissenschaften paßte so gut ins postmoderne editorische Konzept, daß man gar nicht mehr darauf reflektierte, ob die Transgressionen im Einzelnen Sinn machten – etwa die dekonstruktivistische Überwindung der Schwerkraft oder die feministische Liberalisierung der mathematischen Axiomatik. Die transliminalen Verheißungen klangen zu verführerisch, als daß man über sie gestolpert – und damit der kompromittierenden Falle entgangen – wäre.

Die Sokal-Affäre ist nur ein Symptom. Wir sind heute einer Flut von transgressiven Konzepten ausgesetzt, die für das Transdiziplinäre und Transkulturelle, Transhumane und Transsexuelle, Transvestive und Transmediale so notorisch werben wie die deutsche Schwermetallindustrie für den Transrapid. In der Tat scheint die postmoderne Kulturtheorie mit den Strategien der Reklamezu konvergieren: Beide locken mit transliminalen Botschaften, in die sie subliminal Beliebiges einschmuggeln. "Wir machen den Weg frei", wirbt auch die Sparkasse mit suggestiven, über Abgründe hinwegführenden Schienenstrang-Bildern; da kümmert sich der bei seinen geheimen Sehn- und Seh-Süchten gepackte Zuschauer so wenig noch um das Kleingedruckte wie die Editoren von Social Text in Sokals Fall.

Angesichts solcher Konvergenzen ist es kaum übertrieben, wenn eine neuere kulturwissenschaftliche Arbeit vom vollständigen "Kollaps transgressiver Konzepte am Ende des 20. Jahrhunderts"[2] spricht. Es ist ein inflationsbedingter Kollaps, ein Zusammenbruch der Schwellenwerte durch eine zur unreflektierten Routine gewordene Spekulation. Ich möchte das im folgenden an einer Spielart des Transgressismus verdeutlichen: dem Hype um Multimedia.

Technisch ist der Schwellenabbau zwischen den einzelnen Präsentationsformen von Tönen, Texten und Bildern vollzogen, seit sie digitalisiert, also in einer gattungsindifferenten Binärcodierung gespeichert werden können. Mit ihrer Synchronisierung, das heißt ihrer Angleichung an die synästhetische Natur der Alltagswahrnehmung, schwindet zugleich ein weiteres Schwellenphänomen: Das Interface, die Schwelle zwischen Mensch und Maschine,[3] wird in dem Maße unmerklich, wie die Virtual Reality Mimesis an das Real Life betreibt – nicht hinsichtlich der Inhalte, die hierfür irrelevant sind, sondern hinsichtlich des Zusammenspiels der Sinnesreize. Was sich unserer Wahrnehmung präsentiert wie unsere Lebenswelt, das ist eine Lebenswelt für uns. Die Werbung beginnt aus dieser Suggestion ganz neue Absatzchancen für ihre Produkte zu ziehen. So konnte etwa der Tierfutterherstellers EFFEM stolz über den Effekt einer multimedialen PR-Kampagne  berichten, "daß Kunden, die das MultiMedia-Terminal nutzen, nachweislich Hunde- und Katzenfutter kaufen, obwohl sie dergleichen Tiere nicht besitzen".[4]

Wie kommt es zu solchen Effekten? Sind sie völlig neu? Oder sind sie nur der neueste Auswuchs einer kulturhistorischen Entwicklung, die ihre Wurzeln in Älterem hat?

 

I.

 

Folgt man der Selbstauslegung führender Multimedia-Protagonisten, so hat das Interface-Design der heute gebräuchlichen Computersysteme sein Vorbild in der griechischen Tragödie des 5. und frühen 4. Jahrhunderts. In ihrem einflußreichen Buch Computers as Theatre stützt Brenda Laurel diese Genalogie vor allem auf das Ideal vollständiger Partizipation und Selbsttransformation, das genauso wie bei den dionysischen Priester-Darstellern auch in der Interaktion mit Computern zu realisieren sei.[5] Der Mensch am Terminal müsse und könne das Gefühl haben, "to act within a representation".

Um dieses Ziel einer totalen Immersion von Mensch und Maschine zu erreichen, muß das "thresholdy phenomenon"[6] es Interface zum Verschwinden gebracht werden, meint Laurel. Ihre Argumentation für das Konzept des "vanishing interface"[7] rekurriert ebenfalls auf eine antike Konsequenz:

"You can demonstrate Zeno's paradox on the user's side of the barrier until you're blue in the face, but it's only when you traverse it that things get real."[8]

 

Die Barriere der Benutzerschnittstelle muß fallen, damit die virtuelle Realität als eine natürliche Erweiterung der Alltagsrealität erscheinen kann. Mit anderen Worten: Die Wahrnehmung des Mediums als solchem muß ausgelöscht werden. "Whoever discovered water, as the saying goes, certainly wasn't a fish", zitiert Laurel das Sprichwort, und illustriert damit ihr Ideal eines zur völligen Indifferenz herabgesunkenen Schwellenbewußseins.[9]

Wenn aber die Fische von realen in simulierte Gewässer hinübergleiten und dank multimedialer "sensory immersion" davon nichts merken, dann wird das für sie zum Problem. Die Suggestivkraft virtueller Lebendigkeit verhält sich umgekehrt proportional zur realen. Denn die Zunahme des Partizipationsgefühls am Geschehen im Computerterminal geht zwangsläufig einher mit der Auslöschung des Bewußtseins, am Terminal zu sitzen.

So findet die Situation der Computernutzung in der virtuellen Realität nicht ihre Erweiterung, sondern ihren Ersatz. Das tut der Intensität des Erlebens keinen Abbruch – im Gegenteil: Daß die virtuelle Realität als "realer" erlebt wird als das reale Leben, ist eine fast schon triviale Feststellung.[10] Doch der Zweck, der damit erfüllt wird, ist ein anderer als der von Laurels historischem Vergleich suggerierte: Die Wahrnehmung der Situation, das Daseinsgefühl wird nicht etwa partizipatorisch intensiviert, sondern zugunsten des Aufgehens in der virtuellen Realität suspendiert.

Ob die genealogischen Vorläufer von Multimedia-Inszenierungen die griechischen Tragödien sind, muß insofern zumindest hinsichtlich des von Laurel zugrundgelkegten Kriteriums bezweifelt werden: dem der Partizipation. Was aber ist dann die Urszene für Arrangements, die das Subjekt in eine sinnesbetörende Ersatzwelt eintauchen lassen, so daß es sich dabei selbst vergißt?

Wir können in der gewählten Epoche bleiben, um diese Frage zu beantworten. Denn es ist die antike Gedächtniskunst, die dem hier in Frage stehenden Phänomen näherkommt. Selbstvergessenheit ist der erwünschte Effekt, wenn es darum geht, dem Gedächtnis etwas einzuprägen – sei es ein Gedicht oder eine Werbebotschaft. Wer etwas auswendig lernen will, der sollte so weit wie möglich in die Sphäre der Memorabilia abtauchen. Dies wiederum gelingt am besten, wenn die Sinneseindrücke sich gegenseitig stützen. In der Tat waren die antiken Rhetoriklehrer Meister im multimedialen Aktivieren der Sinne zum Zwecke des selbstvergessenen Memorierens; sie waren sozusagen "Synästhesisten". Und Simonides von Keos, der angebliche Erfinder ihrer Kunst,[11] hat einen wesentlichen Beitrag hierzu geleistet: weniger mit der erst später ihm angedichteten Legende, daß der Palasteinsturz beim Festmahl des Skopas ihn auf das Prinzip der Gedächtnisorte gebracht habe, sondern vielmehr mit der berühmten, die Horazische Formel "ut pictura poiesis" vorwegnehmenden Sentenz, "daß die Malerei eine stumme Poesie und die Poesie eine redende Malerei sei"[12] .

Favorisiert werden in der mnemonischen Tradition visuelle Gedächtnisstützen, gefolgt von akustischen und taktilen. Als optimal aber gilt das Zusammenspiel der Sinne, denn dabei addieren sich ihre Merkleistungen. Dieser historische Hintergrund macht deutlich, was bis heute der Urimpuls ist, der die Multimedia-Technologie hervorgebracht hat: die einträgliche Erkenntnis, daß mit ihr "die Behaltensquote positiv beeinflußt werden kann", wie sie die einschlägige Fachliteratur mit folgenden Zahlen belegt:

 

Sinneskanal

Behaltensquote

nur hören

20%

nur sehen

30%

hören und sehen

50%

hören, sehen und anfassen

70%[13]

 

Synästhetiker machen sich diese Akkumulation der Merkleistung zunutze. Berühmt ist das Beispiel des Gedächtniskünstlers Schereschewski. Bei ihm erzeugte, wie Alexander Lurija, der ihn gründlichen Tests unterzog, berichtet, "jeder Laut unmittelbar Licht- und Farbempfindungen wie auch […] Geschmacks- und Berührungsempfindungen."[14] Dieses Zusammenspiel der Sinne verhalf ihm zu spektakulären Gedächtnisleistungen. Es sürzte ihn aber zugleich in tiefes Unglück. Schereschewskis  Fall ist der tragische Fall eines Mnemopathen, der darunter litt, eine Sinneswahrnehmung nicht für sich erleben und entsprechend auf sie konzentrieren zu können. So verhinderte beispielsweise sein Bilderhören das Verständnis gesprochener Sprache – das Gehörte versank unter der Flut der Bilder. Er führte einen verzweifelten Kampf dagegen, aber es half nichts – er konnte sich gegen das konzentrationstötenden Zusammenspiel der Sinne nicht wehren.

So ist auch der Zweck von kommerziellen Multimedia-Anwendungen erfüllt, wenn der von ihnen berieselten Kundschaft im Überangebot der Sinnesreize das Hören und Sehen vergeht und sich dadurch die suggerierten Botschaften unwillkürlich, jenseits der Verstandeskontrolle, einprägen – wie zum Beispiel der Kauf von Hundefutter, auch wenn man keinen Hund besitzt.

Freilich ist die Kritik an derartigen Effekten so alt wie die Gedächtniskunst. Was aber in der mittlerweile hoch ausdifferenzierten Literatur zum Problem der mnemotechnischen Konditionierung bisher kaum beachtet wurde, ist der Zusammenhang solcher Konditionierungen mit dem Schwellenabbau zwischen den einzelnen Sinneswahrnehmungen. Ich möchte das im folgenden an zwei Beispielen verdeutlichen, einem aus der Antike und einen aus der Renaissance. Meine Protagonisten – es handelt sich um Platon und Giulio Camillo – stehen jeweils an historisch bedeutsamen Medienschwellen: der eine an der Schwelle zwischen Oralität und Schriftlichkeit, der andere an der zwischen Schriftlichkeit und Bildlichkeit. Dort sind sie freilich von den Theoretikern der Neuen Medien längst als Schlüsselfiguren entdeckt worden – interessanterweise fast durchgängig als Apologeten einer mit dem technologischen Trend einhergehenden Diskreditierung der Schrift, denen man mit den neuen Multimedia-Techniken postume Unterstürzung leisten zu können meint. Gegen dieses Rezeptionsstereotyp richten sich meine Kurzanalysen.[15]


II.

 

Platons Dialogtechnik wird immer wieder als unvollkommener Vorläufer für eine Überwindung der "linearen" Schrift bezeichnet, die heute durch den Hypertext endlich ihre adäquate Verwirklichung finde. Die Gesprächsform, so ist immer wieder in den einschlägigen Veröffentlichungen zu lesen, nähere sich zwar schon bei Platon der größeren Unmittelbarkeit mündlicher Kommunikation an, doch ihre schriftliche Fixierung erweise sich letztlich doch als hinderliche Barriere, um wirklich interaktiv zu sein. "The form", schreibt etwa David Bolter, "invites the reader to participate in a conversation and then denies him or her full participation."[16] Beim Hypertext nun dürfe der Leser sich wieder einschalten wie in einem mündlichen Gespräch.

Daß das durchaus im Sinne der Intentionen Platons sei, behaupten Bolter und andere unter Berufung auf die Schriftkritik im Phaidros. Dessen Pointe freilich besteht gerade darin, daß die Transgression des Schriftcharakters sich der Schrift bedient – und zwar nicht nur in dem trivialen Sinne, daß Platon seine Verurteilung des Schreibens aufschreiben mußte, um sie zur Geltung zu bringen, sondern vor allem durch ein literarisches Verfahren, das mit einer von der Mediengeschichte meist unbeachteten Dialektik die Charakteristika von Schriftlichkeit und Oralität ineinander umschlagen läßt: Die Lehre des Lysias, des Meisters der mündlichen Rede, führt paradoxerweise zu genau derjenigen Konsequenz, die üblicherweise mit der Schrift assoziiert wird, nämlich sklavische Reproduktion zu sein. Indem Phaidros die Rede seines Lehrers abschreibt und auswendig lernt, repräsentiert just sein mündlicher Vortrag die Untugenden des hypomnematischen Schriftgebrauchs. Auf der anderen Seite beruht die Lebendigkeit der sokratischen Rede darauf, daß sie explizit nach schriftlichen Kompositionsregeln verfaßt ist – von Platon deutlich gemacht durch die Verwendung von literarischen Tropen, Zitaten, Wortspielen und anderen Formen der Intertextualität. Das soll hier nicht im einzelnen ausgeführt werden. Entscheidend ist für unseren Zusammenhang, daß dort, wo das Überschreiten der Medienschwelle unmerklich gemacht wird, eine Versklavung an das vermeintlich überwundene Medium stattfindet. Phaidros, der seine Aufzeichnung der Lysias-Rede "unter dem Mantel" trägt, ist in seiner scheinspontanen Rede von der Vor-Schrift völlig abhängig, während Sokrates, der bei Platon redet wie ein Buch,[17] gerade dadurch zu rhetorischen Freiheiten gelangt, daß er immer wieder das Scheitern der Rede an der Medienschwelle der Schrift inszeniert.[18] Platons Dialog zeigt somit das Vermögen der Literatur, durch das ostentative Auflaufen auf den eigenen medialen Grenzen die Möglichkeit ihrer Überschreitung zu eröffnen. Der Hypertext hingegen vollzieht seine Befreiungstaten nach Vor-Schrift. Er repräsentiert eine "intertextuality without transgression"[19] , wie Geoffrey Nunberg – gegenüber einer populären Inanspruchnahme des Intertextualitätsparadigmas durch die Theoretiker des neuen Mediums[20] – klarstellt.

So kann der pseudospontane Vortrag des Phaidros, dessen scheinbare mündliche Unmittelbarkeit sich in Wirklichkeit einer schriftlichen Partitur verdankt, als das eigentliche Vorbild des Hypertextes angesehen werden. Denn auch hier folgen ja die Verzweigungen, über die der Leser vermeintlich frei entscheidet, einer vorher festgelegten Verknüpfungsstruktur, einer algorithmischen Textur, die jede Interaktionsbewegung an ihre Maschen bindet. Solange ihm die technische Determiniertheit hinter der scheinbaren Freiheit nicht bewußt wird, hat der Leser keine Chance, sie zu transzendieren. Die Schaltflächen der Hyperlinks verhüllen den rigiden Charakter der vorgetäuschten Lebendigkeit wie Phaidros' Mantel das darunter verborgene Manuskript.

Das freilich ist kein Einwand gegen das Medium Hypertext als solches, sondern lediglich gegen eine vom Konzept des "vanishing interface" an der selbstreflexiven Entfaltung seiner Potentiale gehinderten Verwendung. Solange Hypertexte – unter Verkennung ihrer faktischen Rezeptionsbedingungen – im Paradigma des mündlichen Gesprächs beschrieben werden, können die Voraussetzungen einer solchen Selbstreflexion nicht in den Blick kommen. Je mehr versucht wird, die Schwelle abzubauen, die den Schriftcharakter vom Duktus der mündlichen Interaktion unterscheidet, um so mehr verstärkt sich hinterrücks die gegenläufige Tendenz: Der zur Simulation offener Gesprächsstrukturen erforderliche Bedarf an Steuerelementen wendet die einzelnen Hypertext-Partien unterschwellig ins Ikonische. Der Versuch der technischen Dynamisierung der Schrift hin zur Oralität schlägt um in ihre gesteigerte Verdinglichung zum "clickable object". Statt als Lautschrift lebendig zu werden, gerinnen die Gehalte zum Schriftbild.[21]

Freilich vermögen auch Piktogramme den Zwangszusammenhang der unwillkürlichen Gedächtniskonditionierung zu durchbrechen und eine anamnetische Selbstreflexion zu veranlassen. Voraussetzung hierfür ist wiederum die Ermöglichung einer Schwellenerfahrung – diesmal zwischen den Medien Schrift und Bild. Das soll mein zweiter historischer Vergleich demonstrieren.

 

III.

 

Die Verbindung der ars memorativa mit der ars combinatoria, wie sie in den Gedächtnissystemen der Renaissance auftauchte, hat in mancher Hinsicht Ähnlichkeiten mit den hypermedialen Bildverknüpfungen heutiger Computerinterfaces.

So hatte etwa Giulio Camillos Teatro della memoria neben seiner spirituellen Bedeutung den profanen Zweck, die von den scholastischen Traktaten literal überwucherte Gedächtniskunst einer neuen Übersichtlichkeit und Überschaubarkeit im genuinen Wortsinne zuzuführen und zugleich damit dem gestiegenen Bedarf nach einer Vervielfältigung der Gedächtnisorte durch eine Konstruktion gerecht zu werden, die den antiken Memorialarchitekturen überlegen war. In ihrer neuen, mehrfach gestaffelten Anordnung der mit Texten verknüpften Bildzeichen auf den Rängen des vitruvianischen Theaters, glich das Auffinden der Gedächtnisorte nicht mehr dem Ablesen eines standortfixierten Adepten von einer Wachstafel, wie es in der Rhetorica ad Herennium beschrieben wird, sondern – nach Camillos Vorstellung – dem stufenweisen Aufstieg zur Perspektive des göttlichen Überblicks.

Nicht unähnlich dazu verlief die Entwicklung der Computerinterfaces von der alphanumerischen Benutzerführung der ersten Terminals über die ikonographische Desktop-Metaphorik von Macintosh und Windows, die bald nicht mehr die wachsenden Datenmengen zu repräsentieren vermochte, bis hin zu den hypermedialen Navigationsinstrumenten, die in ihren neueren Manifestationen, Hyper-G und XSpace, immer mehr den Charakter von Flugsimulatoren annehmen und damit der von Camillo angestrebten himmlischen Perspektive nahekommen.

Das Speichern und Abrufen von Textdokumenten nach der Topik eines dreidimensionalen Bildraums erscheint beide Male als ein enorm effizientes Mittel der Gedächtnisspeicherung. So fand der "göttliche" Camillo, wie er von seinen Zeitgenossen genannt wurde, zu seinem Mäzen, dem König von Frankreich, durch die verlockende Aussicht, ihm Zugriff auf das gesamte Weltwissen verschaffen zu können. Nichts anderes verheißt Hypertext-Guru Ted Nelson seinen Sponsoren, wenn er um ihre Gunst mit den Worten wirbt:

"Universal or grand hypertext […] means […] an accessible great universe of linked documents and graphics […]. This is an idea many people now share – the idea that we can get to everything, add to everything, keep track of everything, tie everything together, that we can have it all."[22]

 

Auch diese historische Parallele indessen läßt eklatante Unterschiede hervortreten, wenn wir den jeweiligen Umgang mit der Medienschwelle von Schrift und Bild beachten.

Für Camillo waren die Gedächtnisbilder nicht unmittelbar mit den von ihnen repräsentierten Texten verknüpft. Sein Theater fungierte nicht einfach als Aufbewahrungsort von beschriebenen Papieren. Die Bilder, die zu ihnen führten, waren im Unterschied zu heutigen Hyperlinks keine bloßen Navigationshilfen, sondern zugleich Objekte der Kontemplation, deren geheimer Sinn sich nur demjenigen erschloß, der sie zu lesen verstand. Hierzu bedurfte es einer genauen Kenntnis der hermetischen Quellen. Die Gedächtnisbilder wurden also erst dadurch in ihrer ikonographischen Qualität erfahrbar und einem erinnernden Sehen zugänglich, daß sie auf Texte verwiesen, die an Ort und Stelle nicht anwesend waren.

Dieser Verweischarakter macht den Besucher des Gedächtnistheaters zum Interpreten in der performativen Bedeutung des Wortes, das heißt, er ist nicht einfach Zuschauer, sondern Bedeutungen generierender Akteur. Camillos Theaterarchitektur verdeutlicht das dadurch, daß sie den Besucher auf die Bühne stellt, wo er in den Zuschauerraum blickt bzw. von den dort aufgestellten Gedächtnisbildern angeblickt wird. Ausdrücklich betont Camillo sein Anliegen, "eine Ordnung in diesen umfassenden und untereinander verschiedenen sieben Maßeinheiten zu finden, die den Geist aufmerksam erhält und das Gedächtnis erschüttert."[23]

Die zu diesem Zweck vorgenommene Inversion gegenüber dem konventionellen Theater wird in der multimedialen Verschmelzung von Schrift und Bild wieder rückgängig gemacht. Sie erschüttert nicht, sondern entlastet das Gedächtnis und macht den Geist entsprechend unaufmerksam. Ganz gleich, wie emsig der Netsurfer in vermeintlicher "Interaktivität" auf die dargebotenen Steuerbilder und "Usemaps" klickt – er bleibt in der Haltung des Zuschauers, der sich selbstvergessen an das Geschehen auf der virtuellen Bühne verliert.

Der Unterschied der beiden Typen von Gedächtnistheater hat gravierende Konsequenzen für die Erfüllung jener pan-mnemistischen Utopie einer Verfügung über das Weltwissen: Dort, wo die Medienschwelle zwischen Bildern und Texten als Grenze spürbar ist, kommt es zu aktiven Imaginationsleistungen von virtuell unbegrenzter Reichweite. Der Besucher stolpert sozusagen beim Versuch, die Memorabilia des Gedächtnistheaters unmittelbar zu erfassen, über die Stufen seiner Verweisstruktur; und das versetzt ihn in Zustände der Ent-Ortung. Wo aber die Schwelle eingeebnet ist, indem jeder Mausklick prompt Verbindungen schlägt, die ohne interpretatives Zutun des Benutzers zustandekommen, weil sie fest einprogrammiert sind, bleibt nur der passive Konsum mnemotechnisch mortifizierten Wissens im unveränderlichen Raum. Daß dieser Konsum von vielen Multimedia-Enthusiasten dennoch als Faszinosum einer überschwenglichen Raumerfahrung erlebt wird, liegt am Peephole-Effekt des notwendig begrenzten Bildschirmausschnitts: Er nährt die voyeuristische Phantasie, daß noch unendlich Spannenderes und Aufregenderes zu entdecken sei als man faktisch vor Augen hat. Doch wie jeder Voyeurismus, so leidet auch dieser an einer Objektfixierung, die der Selbstentfaltung keinen Spielraum läßt. Während also der Theaterraum Camillos, gerade weil er sich als geschlossener Raum präsentiert, dazu angetan ist, ihn zu transzendieren, hindert der kybernetische Bildraum des Cyberspace durch seine Konturlosigkeit an der Einsicht, daß man sich auf festgelegten Transitstrecken befindet. Er bindet die Datenreisenden an seine Netzstruktur, so weit sie sich auch davonklicken mögen.

 

IV.

 

Das führt mich abschließend zu der Frage, ob die beschriebene Tendenz zur reflexionsmindernden Nivellierung der Medienschwelle notwendig mit der Computertechnik verknüpft ist oder ob diese Technik ihrerseits über Potentiale verfügt, dieser Tendenz mit einem veränderten Konzept von "Multimedia" entgegenzuwirken.

Wenn es die Möglichkeit einer Gegenbewegung geben sollte (wobei ich mich nicht der Illusion hingebe, als könne dies zu mehr führen als einer Flaschenpost in den Surfgrounds des Cyberspace), so wäre es eine, die aus den angeführten Beispielen die Konsequenz zieht, das Schwellenphänomen der Schnittstelle als Schwellenphänomen gestalterisch ins Bewußtsein zu rücken. Ein solcher Versuch würde nach Brenda Laurels Auffassung zu absurden Konsequenzen führen: "If the same phenomena happened in the domain of film," polemisiert sie, "we would all go to see projectors instead of movies."[24]

Nun ist es aber für den künstlerisch ambitionierten Film nicht so ungewöhnlich, sich gerade dieses Effektes zu bedienen, um die kinematographische Illusion, als die Bergson unsere Alltagswahrnehmung beschrieb, zu durchbrechen und so zu neuen Wahrnehmuingsdimensionen vorzudringen.[25] Und entsprechendes gilt für alle anderen Künste: Der selbstreferentielle Verweis auf die spezifische Begrenztheit des verwendeten Mediums gehört zu den elementaren ästhetischen Techniken, um eben diese Begrenztheit transzendierbar zu machen und so die in ihr eingeschlossenen Potentiale zur Entfaltung zu bringen.

In der Ära der bildgebenden Verfahren erhält der Rekurs auf solche Techniken ästhetischer Selbstreferenz erhöhte Aktualität. So schreibt Kaja Silverman in ihrem Buch The Threshold of the Visible World unter Berufung auf Lacans Diktum, daß das "Spiegelbild die Schwelle der sichtbaren Welt" sei: "To look is to embed an image within a constantly shifting matrix of unconscious memories." Der damit einhergehende Narzißmus der gewöhnlichen Wahrnehmung, so Silverman weiter, könne nur überwunden werden, wenn die projektiven Anteile des Blicks als solche bewußt gemacht würden, wenn es also gelänge, die Schwelle des Spiegelstadiums zu durchschreiten auf das hin, was die Erinnerung des anderen ist.[26]

Das kulturhistorische Erbe, das Silverman dabei implizit in Anspruch nimmt, ist, wie ich zu zeigen versucht habe, wesentlich älter: Es ist die Überwindung mnemonischer Selbstbefangenheit durch die anamnetische Bewußtmachung der Medienschwelle. Seit Simonides' Diktum von der Poesie als sprechender Malerei ist die artifizielle Integration der Sinne fest mit der mnemotechnischen Tradition verbunden. Die von mir angeführten historischen Beispiele repräsentieren Gegenmodelle zu diesem Traditionszusammenhang. Sie opponieren dem Geist der antiken Rhetorik und ihrer Merkkunst, indem sie die speichertechnisch notwendigen Verknüpfungen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit bzw. Schriftlichkeit und Bildlichkeit auflösen und auf die prinzipiellen Grenzen zwischen den Gattungen verweisen. Platon erweiterte das Potential der mündlichen Rede durch eine selbstkritisch gewendete Schrift und Camillo das Potential des Gedächtnisbildes, indem er es durch seine Bezogenheit auf einen nicht anwesenden Text verrätselte. Auf diese Weise veranlassen sie Er-innerungsprozesse, die das durch die technische Externalisierung der Memorabilia enteignete Transzendierungserlebnis in die Verantwortung des Subjekts zurückholen. Das mnemotechnisch Mortifizierte kommt so zu neuem Leben.

Systematisch werden diese Wiederbelebungsmaßnahmen durch Betonung der medialen Differenzen erst bei Lessing vorgetragen. In Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie setzt er nicht zufällig bei den Urvätern der Mnemotechnik, bei Simonides und den antiken Rhetorikern an, um die Medienschwellen wieder aufzurichten, die jene zu nivellieren begonnen hatten. Lessing bildet insofern den Auftakt zu immer neuen Versuchen der medialen Differenzbestimmung, die bei aller Verschiedenheit eines gemeinsam haben: Sie sensibilisieren gegenüber einer unreflektierten Vermischung der Gattungen. Auf die entsprechenden Argumente kann ich hier nur andeutungsweise eingehen.

Lessings Versuch, Dichtung und Malerei durch eine Prinzipienbestimmung ihrer Kompetenzen zu unterscheiden, sollte beiden neue Ausdrucksfreiheiten eröffnen. Dieses Programm ist nicht gegen ein Zusammenwirken der Sinnesmedien gerichtet; gerade deren wechselseitige Autonomisierung war geeignet, die Aufmerksamkeit für synästhetische Effekte zu erhöhen. Deutlich wird das bei Herder ausgesprochen:

"Wir sind voll solcher Verknüpfungen der verschiedensten Sinne; nur wir bemerken sie nicht anders als in Anwandlungen, die uns aus der Fassung setzen. in Krankheiten der Phantasie oder bei Gelegenheiten, wo sie außerorderntlich bemerkbar werden."[27]

 

Die gewohnheitsmäßige Verknüpfung der Sinneseindrücke, wie sie die Alltagswahrnehmung auszeichnet, muß unterbrochen werden, um sie erneut zu bemerken. Auf dieser Linie der Entkopplung der Sinne im Interesse der gesteigerten Intensität ihres Zusammenspiels fährt Goethe fort. "Wort und Bild" sind für ihn "Korrelate, die sich immerfort suchen. […] Wenn man aussprach, was sich nicht bilden, bildete, was sich nicht aussprechen ließ, so war das ganz recht; aber man vergriff sich gar oft und sprach, statt zu bilden, und daraus entstanden die doppelt bösen symbolisch-mystischen Ungeheuer."[28] Goethe sah in der Medienvermischung eine derart große Gefahr, daß er häufig das Monomediale bevorzugte, um ihr zu entgehen. An seinen Verleger schreibt er etwa:

"Den Faust, dächt' ich, gäben wir ohne Holzschnitte und Bildwerk. […] Kupfer und Poesie parodieren sich gewöhnlich wechselweise. Ich denke, der Hexenmeister soll sich allein durchhelfen."[29]

 

Viele der heutigen Multimedia-Produktionen bestätigen diesen Vorbehalt: So geraten etwa die Versuche, Platons Dialoge in interaktive Hypertexte zu übertragen,[30] ebenso zu unfreiwilligen Parodien, wie die zahlreichen Gedächtnistheater, die das World Wide Web mittlerweile bietet.[31]

Nun wäre es freilich allzu simpel, Monomedialität als Ausweg zu empfehlen. Auch unser historischer Vergleich geht über diese reduktionistische Lösung hinaus. Goethe betonte – hierin durchaus ein Vorläufer der Multimedialität –, daß alle Sinne zusammenwirken müssen, wenn das Ergebnis ein lebendiges Ganzes sein soll.[32] Diese Maxime führte ihn zu einer bemerkenswerten Innovationsfreude, die weit über das hinausging, was die in seinem Zeichen stehende Germanistik bis in die sechziger Jahre unseres Jahrhunderts als ihrer würdig anzuerkennen bereit war: Heute nennt man es Comic Strip; zu Goethes Zeit hieße es "littérature-en-estampes"[33] .

Fréderic Soret, der Goethe mit dieser Erfindung seines Genfer Freundes Rodolphe Töpffer bekannt machte, berichtet vom 27. Dezember 1830:

"Nous avons parcouru ensemble les dessins de Töpffer. […] Elles ont fait un singulier plaisir à Son Excellence. 'Cela est trop fou', répétait-il de temps en temps, mais il pétille de talent et d'esprit. Certains endroits sont d'une perfection inimitable; ils montrent tout ce que l'artiste peut faire encore s'il traite de nouveaux sujets en mettant moins de promptitude et plus de réflexions préliminaires. Avec un texte moins frivole, Töpffer, dit-il, serait capable d'imaginer des choses qui seraient au-dessus de nos conceptions."[34]

  Goethe erkannte sofort das neue Ausdruckspotential des Genres, dem er zutraute, alles bisher Dagewesene zu übertreffen. Voraussetzung hierfür aber sei es, wie er sagte, die so wirkungsvolle Kombination von Texten und Bildern durch zwei Maßnahmen zu disziplinieren: "moins de promptitude" und "plus de réflexions préliminaires".

Das scheint heute in den Wind gesprochen zu sein. Unter dem multimedialen Ansturm der "User Prompts" reduziert sich das Hören, Lesen und Sehen auf ein reflexionsloses Reiz-Reaktionsschema.[35] Die "Promptitude" der Übergänge sorgt für ein selbstvergessenes Gleiten, auch "Surfen" genannt, bei dem Laut und Schrift und Bild ohne Besinnung auf ihren jeweiligen medialen Eigensinn ineinander fließen.

Das mag als angenehm empfunden werden, die Einführung von Stolpersteinen hingegen als buchstäblich anstößiges Programm. Doch erst, wenn ein Ton als Ton und ein Bild als Bild wahrgenommen wird, wird die Schwelle zu einem transmedialen Erfahrungsraum überschritten, der nicht einfach der narzißtische Spiegel der Alltagswahrnehmung wäre. Bei der Konzentration auf die Erfahrungsqualität der nichtschriftlichen Medien am Computerscreen kann der Schrift eine Schlüsselrolle zukommen. Die Nötigung zur Lektüre kreiert ein Schwellenphänomen, das die reflexartige Reaktion auf die akustischen und optischen Sinnesreize unterbricht und ihnen durch solches Innehalten zumindest die Chance bietet, in der Dignität ihres medialen Eigensinns erfahren zu werden.

Es ist, wie gesagt, ein anstößiges Programm. Und es ist vielleicht noch anstößiger, seine Vorgeschichte ausgerechnet mit Goethe enden zu lassen, wie das jetzt aus Platzgründen geschehen muß – mit Goethe, der sich schon in seiner Sperrigkeit der romantischen Universalpoesie gegenüber nicht mehr auf der Höhe der Zeit zeigte, ganz zu schweigen von den erst nach ihm einsetzenden Diskussionen um Gesamtkunstwerk und correspondances[36] , "Verfransung der Künste"[37] und das Verhältnis von Synästhesie und Erinnerung[38] , die zur Kenntnis nehmen muß, wer das Phänomen und die Problematik von Multimedia adäquat einzuschätzen sucht. Gegenüber der technologischen Entwicklungstendenz einer sich zunehmend perfektionierenden Glättung der Übergänge bleibt jedoch das Votum für eine Aufrechterhaltung des Schwellenbewußtseins gültig, wie es sich bei Platon, bei Camillo, bei Goethe schon finden läßt. Mit letzterem also will ich schließen, dessen Schwellenbegriff auf dieser Tagung schon so ausführlich zur Sprache kam, daß ich mich hier auf ein kurzes Zitat beschränken kann – freilich einem, von dem ich glaube, daß es Goethes Gedanken zu unserem Thema bündig zusammenfaßt: "Stolpern fördert."[39]


[1] Sokal, Alan D.: Transgressing the Boundaries: Towards a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity. In: Social Text 46/47 (spring/summer 1996), pp. 217–252. Der Artikel und weitere Dokumente zur Diskussion der Affäre befindet sich auch auf Sokals Homepage: www.physics.nyu.edu/faculty/sokal.

[2] Hohnsträter, Dirk: Grenze, Grenzüberschreitung und Grenzgang als literarisches und kulturwissenschaftliches Thema. Magisterarbeit Tübingen 1997, S. 14.

[3] Zum Interface als Schwelle vgl. auch Bonsiepe, Gui: Interface. Design neu begreifen; Mannheim 1996.

[4] Nach Förster, Hans-Peter / Zwernemann, Martin (Hg.): Multimedia: die Evolution der Sinne; Neuwied, Berlin 1993, S. 6.

[5] Laurel, Brenda: Computers as Theatre; Reading (Mass.) 1991, S. 196 f.

[6] Ebd., S. 21.

[7] Ebd., S. 104 .

[8] Ebd., S. 21.

[9] "Ebd., S.210.

[10] "This is more real than my real life" ist eine typische Auskunft passionierter Cybernauten über das Life on the Screen, das die Computerpsychologin Sherry Turkle in ihrem jüngsten Buch durch zahlreiche Interviews dokumentiert. [Turkle, Sherry: Life on the Screen. Identity in the Age of the Internet; New York 1995. Zitat S. 10.]

[11] Vgl. Goldmann, Stefan: Statt Totenklage Gedächtnis. Zur Erfindung der Mnemotechnik durch Simonides von Keos. In: Poetica 21 (1989), S. 43–66.

[12] Nach Lessing, Gotthold Ephraim: Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie. In: Gesammelte Werke in zwei Bänden, Bd. 2; Gütersloh 1966, S. 9 f.

[13] Förster/Zwernemann, a.a.O., S.9.

[14] Lurija, Alexander R.: Kleines Porträt eines großen Gedächtnisses. In: ders.: Der Mann, dessen Welt in Scherben ging. Zwei neurologische Geschichten; Reinbek bei Hamburg 1992, S. 147–249, hier S. 163.

[15] Zu beiden habe ich andernorts ausführlicher publiziert [Hypomnemata und Hypermedia. In: Medien des Gedächtnisses. Sonderband der Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 1998 – Computer als Gedächtnistheater. In: Metamorphosen – Zur Veränderung der Gedächtnismedien im Computerzeitalter. Stuttgart- Bad Cannstatt 1998]. Das dort Gesagte greife ich hier nur soweit auf wie nötig, um den ergänzenden Aspekt, den ich mit dem vorliegenden Beitrag hinzufüge, zu verdeutlichen: Die Bedeutung der Insistenz auf Monomedialität für die historischen Kritiker der Mnemotechnik.

[16] J. David Bolter, Writing Space, Hillsdale (NJ) 1991, 111.

[17] Zu einer ähnlichen Deutung kommt Michel Narcy, wenn er über den Phaidros schreibt, "que Platon y donne d'abord un échantillon de l'art de Lysias, qui consiste à écrire comme on parle, puis fait parler Socrate comme un livre. Donner la parole de Socrate comme le modèle de la vrai rhétorique, c'est dire adieu à l'oralité". [Narcy, Michel: Platon, l'écriture et les transformations de la rhétorique. In: Rossetti, Livio (ed.): Understanding the Phaedrus: Proceedings of the II. Symposium Platonicum; Sankt Augustin 1992, S. 275–279, hier S. 279.][18] Einer ausschließlich technisch ausgerichteten Mediengeschichte müssen diese Inszenierungsleistungen entgehen; eine phänomenologisch orientierte dagegen vermag sie einzufangen, wie Iris Därmann zeigt:"Platon unternimmt als erster Schriftsteller des Übergangs von einer oralen zu einer literalen Gesellschaft den folgenreichen Versuch, der Rede […] das zurückzuerstatten, was dem auf Weitererzählung und Inszenierung angewiesenen Mythos durch die Schrift verlorenging, nämlich Stimme einer sich selbst vernehmenden Präsenz zu sein, in der sagbar sein soll, was nur durch und in der Schrift denkbar wird." [Därmann, Iris: Tod und Bild. Eine phänomenologische Mediengeschichte; München 1995, S. 129.]

[19] Nunberg, Geoffrey: Farewell to the information age. In: Ders. (Ed.): The Future of the Book; Belgien 1996, S. 103–139, hier S. 106.

[20] Vgl. etwa George P. Landow, "What's a Critic to Do? Critical Theory in the Age of  Hypertext", in: ders. (Hrsg.): Hyper/Text/Theory, Baltimore, London 1994, 1–48, hier S. 1. Das Glossar in Martin Klepper, Ruth Mayer, Ernst-Peter Schneck (Hrsg.), Hyperkultur. Zur Fiktion des Computerzeitalters, Berlin, New York 1996 erläutert "Intertextualität" als "Verweisstruktur von Texten auf andere Texte" und meint: "Hypertexte besitzen eine Art direkte, offene Intertextualität, da sie per definitionem aus vielen verschiedenen Texten und Textversatzstücken nebeneinander und übereinander bestehen, die per Maus-Klick aktualisiert werden können" (S. 278).

[21] Das gab es freilich immer schon. Vgl. Adler, Jeremy / Ernst, Ulrich: Text als Figur. Visuelle Poesie von der Antike bis zur Moderne; Weinheim 1990.

[22] Zitiert nach Horn, Robert E.: Mapping Hypertext. Analysis, Linkage, and Display of Knowledge for the Next Generation of On-Line Text and Graphics; Waltham 1989, S. 259.

[23] Übersetzung nach Mummenhoff, Julia: Das Gedächtnistheater des Giulio Camillo. In: Baumgart, Silvia u.a. Hg.: Denkräume zwischen Kunst und Wissenschaft. 5. Kunsthistorikerinnentagung in Hamburg, Berlin u.a. 1993, S. 177–198, hier S. 182. Die Formulierung, daß das Gedächtnis "erschüttert" werden solle (wörtlich: "percossa"), unterstreicht den selbstreflexiven Charakter dieses Erinnerns im Sinne der platonischen Anamnesis, die ebenfalls mit einer Erfahrung der Erschütterung, nämlich der Aporie, einhergeht.

[24] Laurel, a.a.O., S. 204.

[25] Vgl. Bergson, Henri: Schöpferische Entwicklung; Jena 1912. S. 305. Gilles Deleuze hat im Anschluß daran die entsprechenden Konsequenzen für eine Selbstreflexion des Mediums Film philosophisch entwickelt und in Einzelanalysen an Godard, Wenders u.a. demonstriert.

[26] Silverman, Kaja: The threshold of the Visible World; London 1996, S. 3.

[27] Herder, Johann Gottfried: Abhandlung über den Ursprung der Sprache;  Stuttgart 1985, S. 55.

[28] Goethe, Johann Wolfgang: Maximen und Reflexionen. In: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche in 40 Bänden; Frankfurt am Main 1985 ff., Bd. 13, hg. von Harald Fricke, Nr. 1.110.

[29] An Cotta, 25.11.1805.

[30] Vgl. z.B. www.dfw.net/~sherrin/plato.htm.

[31] Vgl. z.B. memopolis.uni-regensburg.de.

[32] Vgl. insbes. Goethe, Johann Wolfgang: Geschichte der Farbenlehre. In: Werke in 14 Bänden. Hg. von Erich Trunz (= Hamburger Ausgabe); 11., überarbeitete Aufl. München 1978, Bd. 14, hier S. 41 f.

[33] Vgl. Toepffer, Rodolphe: Essai de Physiognomonie – Essay zur Physiognomonie. Übersetzt von W. und D. Drost, mit einem Nachwort von W. Drost und K. Riha; Siegen 1980.

[34] Eckermann, 4.1.1831.

[35] Vgl. Rötzer, Florian: Bilder in Bildern - oder: Vom Bild zur virtuellen Welt. In: Fehr, Michael / Krümmel, Klemens / Müller, Markus (Hg.): Platons Höhle: das Museum und die elektronischen Medien, Köln 1995, S. 57–76, hier S. 62 f.

[36] Vgl. Benjamin, Walter: Über einige Motive bei Baudelaire; In: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. I.2, S. 605–653, hier S. 637 ff.

[37] Vgl. Adorno, Theodor W.: Die Kunst und die Künste; In: ders.: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica; Frankfurt am Main 1981, S. 168–192.

[38] Emrich, Hinderk M. / Trocha, Karen: Gefühl, Erinnerung, Synästhesie. In: Kunsthochschule für Medien Köln (Hg.): Lab. Jahrbuch 1995/96 für Künste und Apparate; Köln 1996.

[39] Überliefert von K. Th. Gaedertz, in: Goethes Gespräche. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Frhrn. von Biedermann hg. v. Wolfgang Herwig; Bd. V, Zürich und München 1972, S. 103. Eine ähnliche Äußerung überliefert J. Ch. Mahr von Goethe: "Durch Stolpern kommt man bisweilen weiter, man muß nur nicht fallen und liegen bleiben." A.a.O, Bd. III/2, Zürich und Stuttgart 1987, S. 814.