Peter Matussek

Medienästhetik der Schrift

10. Von der Gutenberg- zur Turing-Galaxis

10.3.4 Industriezeitlalter: bildendes bzw. "ziviles" Lesen

Aby Moritz Warburg (1866 - 1929) gründete die Bücherei im Privathaus. Quelle: Wikipedia
Wilhelm Busch: Max und Moritz (1865)
Bibliothek im Warburg Haus ab 1902, Quelle: Denkmalverein Hamburg
Neubau der Universitätsbibliothek Leipzig, 1891 eingeweiht, Quelle: Einsichten und Perspektiven

10.3.4 Industriezeitalter: bildendes bzw. "ziviles" Lesen

Um das "wilde", also das ungefilterte, phantasieanregende Lesen in moralisch und didaktisch nützliche Bahnen zu lenken, entstand die Spartenliteratur: spezielle Lesestoffe für bestimmte Zielgruppen. Die Parole "Lesen bildet!" resultiert aus diesen Bestrebungen.
Aleida Assmann bezeichnet diesen Lektüretyp als "ziviles Lesen", weil es den Zweck verfolgt, die Leser zu gesellschaftlich nützlichen Individuen heranzuziehen (vgl. Assmann 1985, S. 103–110).

Durch den starken Anstieg der Buch­produktion im 19. Jahrhundert sah sich die öffentliche Hand mehr und mehr veranlasst, dem gestiegenen Lesebedürfnis akademischer, aber auch weiterer Kreise der Bevölkerung (Stichwort: Schöne Literatur) Rech­nung zu tragen. Die Sammlung in- und ausländischer Literatur, ihre zweckmäßige Präsentation und die Erleichterung ihrer Benutzung, machten die Errichtung weit größerer Gebäude für die Hochschul-, Hof- und Landesbibliotheken notwendig als in früheren Zeiten. Die Biblioteca Albertina wird heute als Hauptbibliothek, geisteswissenschaftliche Zentralbibliothek und Archivbibliothek der Universität Leipzig genutzt. Derzeit umfasst ihr Bestand rund 5,4 Millionen Bände, 5,2 Millionen Medieneinheiten und rund 7.200 laufende Zeitschriften. Darüber hinaus besitzt sie eine Reihe von Sondersammlungen, darunter ca. 8.700 Handschriften, ca. 3.600 Inkunabeln, Drucke des 16. Jahrhunderts und ca. 173.000 Autographen. Es gibt auch eine bedeutende Papyrus- und Ostrakasammlung.

Die Bibliothek des Kunsthistorikers und passionierten Büchersammlers Aby Warburg (1866-1929) begann 1902 mit einem studentischen Handapparat in seinem Privathaus in Hamburg. Die Bibliothek mit Forschungsschwerpunkt zum "Nachleben der Antike" entwickelte sich bis 1933 mit über 60.000 Bänden zum geistigen Zentrum der Weimarer Republik. Sonderdrucke, Aufsätze und Fotografien ergänzen die Sammlung. Auf bisher unbekannte Weise versammelte Warburg disziplinenübergreifend Buch- und Forschungsmaterialien unter bestimmten kulturwissenschaftlichen Fragen. Nach der Gründung der Hamburger Universität im Jahre 1919 wurde die Bücherei dieser institutionell lose angegliedert. 1920 umfasste die Sammlung bereits 20.000 Bände. 1924 - 1926 ließ Warburg einen Bibliotheksneubau mit viergeschossigem Bücherturm auf dem Nachbargrundstück errichten. Beide Häuser waren für 120.000 Bände konzipiert. Das neue Gebäude enthielt neben den Magazinen einen großen ovalen Lesesaal, der auch als Hörsaal genutzt wurde. Arbeitsräume, Gästezimmer, Photolabor und Buchbinderei ergänzten die Ausstattung. Ende 1933 musste die Sammlung vor dem Zugriff der Nationalsozialisten nach England gerettet werden, wo sie noch heute als "Warburg Institute" fortbesteht. Das Haus wird seitdem von der Aby-Warburg-Stiftung verwaltet und u.a. für die Abteilungen des Kunstgeschichtlichen Seminars und für Vortragsreihen genutzt.

10.3.4 Industriezeitalter: bildendes bzw. "ziviles" Lesen10.3.4 工业时代:教育性且民用的阅读
SprechblaseSprechblase